Die Erde
wieder aufgemacht und, jäh kühn geworden, befreite sie mit ihrem Löwinnengebrüll ihren Bruder Hilarion von Bangbüxes, Delphins und Nénesses Späßen. Letzterer hatte sich soeben zu den beiden anderen gesellt, die hinter dem Blödling her johlten. Atemlos und verstört kam Hilarion watschelnd auf seinen krummen und schiefen Beinen herein. Aus seiner Hasenscharte rann Speichel, er stammelte, ohne die Dinge erklären zu können, sah hinfällig aus für seine vierundzwanzig Jahre, hatte die tierische Scheußlichkeit einer Mißgeburt. Er war sehr böse geworden, war rasend darüber, daß er die Rangen, die ihn verfolgten, beim Rennen nicht erwischen und ohrfeigen konnte. Dieses Mal hatte er wieder einen Hagel Schneebälle abbekommen.
»Oh, ist der ein Lügner!« sagte Bangbüx mit großartiger Unschuldsmiene. »Er hat mich in den Daumen gebissen!«
Da wäre Hilarion, dem die Worte quer in der Kehle steckten, beinahe erstickt, während Palmyre ihn beruhigte, ihm das Gesicht mit ihrem Taschentuch abwischte und ihn dabei ihr Herzchen nannte.
»Nun ist's aber genug damit, he!« sagte Fouan schließlich. »Du, du solltest wohl verhindern, daß er dir nachkommt. Setz ihn wenigstens hin, damit er sich ruhig verhält! – Und ihr Gören, seid still! Man wird euch bei den Ohren nehmen und euch wieder zu euern Eltern nach Hause bringen.«
Da aber der Blödling weiter lallte und recht haben wollte, ergriff die Große, deren Augen flammten, ihren Spazierstock und versetzte dem Tisch damit einen so derben Hieb, daß alle Welt hochfuhr. Von Schrecken ergriffen, sackten Palmyre und Hilarion zusammen, muckten nicht mehr.
Und der Feierabend begann. Rings um die einzige Kerze strickten die Frauen, spannen, machten Handarbeiten, ohne auch nur hinzusehen. Dahinter rauchten die Männer langsam, sagten selten ein Wort, während sich die Kinder in einer Ecke stießen und kniffen und dabei ihr Lachen erstickten.
Manchmal wurden Märchen erzählt: das Märchen vom schwarzen Schwein, das einen roten Schlüssel in der Schnauze hatte und einen Schatz bewachte; oder auch das Märchen vom Tier aus Orleans, das das Gesicht eines Menschen, Fledermausflügel, bis zur Erde herabreichende Haare, zwei Hörner und zwei Schwänze hatte, den einen zum Zupacken, den andern zum Töten; und dieses Ungeheuer hatte einen Wanderer aus Rouen gefressen, von dem nur der Hut und die Stiefel übriggeblieben waren. Andere Male schnitt man die endlosen Geschichten über die Wölfe an, die gefräßigen Wölfe, die Jahrhunderte hindurch die Beauce verwüstet hatten. Früher, als die heute nackte und kahle Beauce von ihren Urwäldern noch einige Baumgruppen behalten hatte, kamen im Winter unzählige Rudel, vom Hunger getrieben, heraus, um sich auf die Herden zu stürzen. Frauen, Kinder wurden zerfleischt. Und die Alten der Gegend erinnerten sich, daß die Wölfe während der großen Schneefälle in die Städte kamen: in Cloyes hörte man sie auf dem Place SaintGeorges heulen; in Rognes fauchten sie unter die schlecht geschlossenen Türen der Ställe und Schäfereien. Dann kamen immer dieselben Geschichten: der von fünf großen Wölfen überfallene Müller, der sie in die Flucht jagte, indem er ein Streichholz anzündete; das kleine Mädchen, neben dem eine Wölfin im Galopp zwei Meilen lang herlief und das erst an seiner Tür gefressen wurde, als es hinfiel; andere Sagen, noch andere, Sagen von Werwölfen, von Menschen, die sich in Tiere verwandelten und den verspäteten Wanderern auf die Schultern sprangen und sie zwangen, sich zu Tode zu rennen.
Eine Geschichte aber ließ es den Mädchen am Feierabend rings um die spärliche Kerze eiskalt den Rücken hinunterlaufen, so daß sie beim Weggehen verstört und mit dem Blick das Dunkel durchwühlend eiligst davonliefen, die Geschichte von den Verbrechen der Fußheizer25, der berüchtigten Bande aus Orgères, vor denen noch nach sechzig Jahren die ganze Gegend schauderte. Es waren ihrer Hunderte, alles Landstreicher, Bettler, Fahnenflüchtige, falsche Hausierer, Männer, Kinder, Frauen, die von Diebstählen, Morden und Prassereien lebten. Sie stammten von den bewaffneten und disziplinierten Scharen der einstmaligen Straßenräuber her, machten sich die Wirren der Revolution zunutze, belagerten in der Regel einzeln gelegene Häuser, in die sie unvermutet hereinplatzten, indem sie die Türen mit Rammböcken einstießen. Sobald die Nacht hereingebrochen war, kamen sie wie die Wölfe aus dem DourdanWald, aus dem Conie
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