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Die Erfindung der Einsamkeit

Die Erfindung der Einsamkeit

Titel: Die Erfindung der Einsamkeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paul Auster
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Daniel bei ihm vorbeizukommen. Er starb, bevor wir eine Gelegenheit fanden, ihm diesen Besuch abzustatten.

    Es gibt, wie ich erfuhr, nichts Schrecklicheres, als sich mit den Sachen eines Toten abgeben zu müssen. Gegenstände sind träge: Bedeutung haben sie nur in ihrem funktionalen Bezug auf das Leben, welches sich ihrer bedient. Wenn dieses Leben endet, ändern sich die Dinge, selbst wenn sie dieselben bleiben. Sie sind da und doch nicht da: greifbare Gespenster, dazu verdammt, in einer Welt weiterzuleben, der sie nicht mehr angehören. Was soll man zum Beispiel von einem Schrank voller Kleider halten, die stumm darauf warten, wieder von jemandem getragen zu werden, der niemals mehr die Tür aufmachen wird? Oder von Kondompäckchen, die sich in randvollen Schubladen zwischen Unterwäsche und Strümpfen finden? Oder von einem Elektrorasierer im Badezimmer, an dem noch die Bartstoppeln von der letzten Rasur haften? Oder von einem Dutzend leerer Tuben Haarfärbemittel, die in einem ledernen Reisekoffer versteckt sind? – Da kommen plötzlich Dinge ans Licht, die man gar nicht sehen, gar nicht wissen will. Das hat etwas Schmerzliches, und auch etwas Entsetzliches. Für sich selbst bedeuten diese Dinge nichts, wie die Kochgeräte irgendeiner untergegangenen Zivilisation. Und doch sagen sie uns etwas; sie stehen dort nicht als Gegenstände, sondern als Überbleibsel von Gedanken, von Bewusstsein, als Embleme der Einsamkeit, in der ein Mensch ihn selbst betreffende Entscheidungen fällt: ob er sich das Haar färben soll, ob er dieses oder jenes Hemd tragen soll, ob er leben oder sterben soll. Und dann die Sinnlosigkeit all dessen, sobald der Tod eingetreten ist.
    Jedes Mal wenn ich eine Schublade aufzog oder meinen Kopf in einen Schrank steckte, kam ich mir wie ein Eindringling vor, wie ein Einbrecher, der in den geheimen Gedanken eines Menschen wühlt. Ständig erwartete ich, mein Vater würde hereinkommen, mich ungläubig anstarren und fragen, was zum Teufel ich da zu suchen hätte. Es schien mir nicht fair, dass er keinen Einspruch erheben konnte. Ich hatte kein Recht, in sein Privatleben einzudringen.
    Eine hastig notierte Telefonnummer auf der Rückseite einer Visitenkarte mit dem Aufdruck: H. Limeburg – Mülltonnen aller Art. Fotos von den Flitterwochen meiner Eltern in Niagara Falls, 1946: meine Mutter, wie sie für einen dieser komischen Schnappschüsse, die niemals komisch sind, nervös auf einem Stier sitzt, und plötzlich das Gefühl, wie unwirklich die Welt schon immer gewesen ist, sogar in ihrer Vorgeschichte. Eine Schublade mit Hämmern, Nägeln und über zwanzig Schraubenziehern. Ein Aktenschrank, vollgestopft mit ungültigen Schecks aus dem Jahr 1953 und den Karten, die ich zu meinem sechsten Geburtstag bekommen hatte. Und dann, ganz unten in einer Schublade im Badezimmer: die Zahnbürste mit Monogramm, die einmal meiner Mutter gehört hatte und nun seit über fünfzehn Jahren nicht mehr berührt oder angesehen worden war.
    Die Liste ist unerschöpflich.

    Bald wurde mir klar, dass mein Vater so gut wie nichts getan hatte, um sich auf seinen Weggang vorzubereiten. Die einzigen Anzeichen für den bevorstehenden Umzug, die ich im ganzen Haus entdecken konnte, waren ein paar Kartons mit Büchern – belanglose Bücher (veraltete Atlanten, eine fünfzig Jahre alte Einführung in die Elektronik, eine Lateingrammatik von der Highschool, alte Gesetzbücher), die er für einen wohltätigen Zweck hatte spenden wollen. Ansonsten: nichts. Keine leeren Kisten, die auf Ladung warteten. Keine Möbelstücke, die verschenkt oder verkauft worden wären. Keine Vereinbarungen mit einer Umzugsfirma. Es war, als hätte er es einfach nicht über sich bringen können. Anstatt das Haus zu räumen, hatte er sich schlicht den Tod gewünscht. Der Tod war ein Ausweg, die einzige legitime Fluchtmöglichkeit.
    Für mich gab es freilich kein Entrinnen. Die Sache musste erledigt werden, und es gab niemand anderen, der sie erledigen konnte. Zehn Tage lang habe ich seine Sachen durchgesehen, das Haus leergeräumt und für die neuen Besitzer fertig gemacht. Das war eine fürchterliche, aber auch seltsam komische Zeit, eine Zeit rücksichtsloser und absurder Entscheidungen: verkaufen, wegwerfen, verschenken. Meine Frau und ich kauften dem achtzehn Monate alten Daniel eine große hölzerne Rutsche und stellten sie im Wohnzimmer auf. Er genoss das Chaos: stöberte in den Sachen, setzte sich Lampenschirme auf den Kopf, warf Pokerchips

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