Die Erfindung des Lebens: Roman
Kontakte knüpfen.
Die Kirche der deutschen Rom-Gemeinde liegt nur wenige Schritte entfernt. Ich mache mich auf den Weg dorthin und biege in eine kleine Gasse ein, ja, es sind wirklich nur wenige Schritte. Da ist die Kirche, Santa Maria del Anima, ich habe sie gleich entdeckt. Ich gehe hinein, es ist kurz nach acht, anscheinend hat bereits ein Frühgottesdienst stattgefunden, der Weihrauchduft ist noch sehr stark.
Ich setze mich in eine Bank und schaue mir alles an. Da bleibt mein Blick an der kleinen Chororgel neben dem Altar hängen. Es ist eine Orgel, wie man sie zur Begleitung des Gesangs der Gemeinde benutzt, es ist eine Gottesdienstorgel, in der Klosterkirche habe ich oft auf einer solchen Orgel gespielt. Ich kann die starke Anziehung, die von ihr ausgeht, nicht unterdrücken. Ich gehe hin und nehme an ihr Platz, ich beginne, auf ihr zu spielen, ich sitze an meinem ersten römischen Morgen in der Kirche Santa Maria del Anima und spiele die Orgel.
Nach wenigen Minuten erscheint ein Priester. Er unterbricht mich nicht, nein, er macht sogar ein Zeichen, dass ich zu Ende spielen soll. Ich spiele einen Choral von Johann Sebastian Bach, ich spiele den alten Choral Jesu bleibet meine Freude , es ist ein Stück, das ich immer wieder von großen Pianisten gehört habe, so etwa von Dinu Lipatti, der es am ergreifendsten in seinem letzten Konzert kurz vor seinem Tod gespielt hat.
Als ich den Choral beendet habe, stehe ich auf, gehe auf den Geistlichen zu und spreche ihn auf Deutsch an. Ich erkläre ihm, wer ich bin und was mich in diese Kirche geführt hat. Der Geistliche spricht ebenfalls Deutsch, er gibt mir die Hand und fordert mich auf, ihn in die Räume des Konvents zu begleiten, die an die Kirche angeschlossen sind. Sie spielen sehr gut , sagt der Geistliche und geht etwas voran. Dann aber bleibt er mitten im Gehen stehen und dreht sich noch einmal nach mir um: Hätten Sie Zeit und Lust, in unseren Frühgottesdiensten werktags diese Orgel zu spielen?
Ich schaue ihn an, ich glaube, nicht richtig zu hören. Dann aber antworte ich: Ja, ich habe Zeit und Lust, die habe ich natürlich auch. Wenn Sie wollen, kann ich schon morgen früh anfangen.
37
ICH BIN Antonia wieder im Treppenhaus begegnet und habe sie gefragt, ob sie vor mir davonlaufe. Sie hat kurz und ein wenig erschrocken gelacht und geantwortet, die Sache lasse sich nicht im Treppenhaus besprechen, wir bräuchten dafür etwas Zeit. Wir sind beide in unsere Wohnungen gegangen und haben uns für den Mittag in einer kleinen Bar am Testaccio-Markt verabredet.
Ich war erleichtert, dass ich es geschafft hatte, sie auf ihr merkwürdiges Verhalten anzusprechen, und genau das sagte ich ihr als Erstes, als wir einander in der Bar gegenüberstanden. Sie ging aber auf meine Bemerkung nicht ein, sondern fragte mich, wie weit ich mit meinem Buchprojekt sei. Ich fragte sie, warum sie das wissen wolle, und sie antwortete, es interessiere sie zu wissen, ob ich Rom nach Beendigung meines Buchprojekts wieder verlassen werde.
Ich zögerte einen Moment mit meiner Antwort, dann aber sagte ich, ich hätte darüber noch nicht nachgedacht. Im Augenblick wäre ich ausschließlich mit dem Manuskript beschäftigt, alles Weitere werde sich dann ergeben. Jedenfalls hätte ich in meinem bisherigen Leben feststellen können, dass sich in Rom immer alles von allein ergebe, auf natürliche Weise oder einfach von selbst. Ich könne ihr viele solcher Geschichten erzählen, die wichtigsten Dinge hätten sich für mich in Rom ganz leicht und beinahe ohne mein Zutun ergeben.
Du kannst Dir also auch vorstellen, in Rom zu bleiben?, fragte Antonia, und ich antwortete, aber ja, natürlich kann ich mir das vorstellen. Da sagte sie, dass sie in letzter Zeit immer wieder darüber nachgedacht habe, wie ich mir die Zukunft ausmale. Wir seien drauf und dran, eine engere Freundschaft einzugehen, eine solche Freundschaft aber wolle sie nur, wenn ich nicht in wenigen Monaten schon wieder verschwinde. Das Verschwinden eines Mannes aus ihrer Nähe habe sie erst gerade überwunden, das genüge, ein zweites Mal wolle sie so etwas nicht erleben. Ich antwortete, dass ich das gut verstehe, mich jedoch noch nicht entschieden hätte. Ich wolle mich mit der Zukunft jetzt nicht beschäftigen, es sei aber alles möglich, und vieles spreche dafür, dass ich bliebe.
Gut, sagte Antonia, wenn das so ist, bin ich beruhigt. Wenn Du nicht ausschließt, hier in Rom zu bleiben, ist ja noch alles offen.
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