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Die Erfindung des Lebens: Roman

Die Erfindung des Lebens: Roman

Titel: Die Erfindung des Lebens: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hanns-Josef Ortheil
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Hättest Du dagegen gesagt, dass Du vorhast, wieder nach Deutschland zurück zu reisen, hätte ich mich nicht mehr mit Dir getroffen, Du verstehst? – Ja, antwortete ich, ich verstehe genau. – Dann hätten wir das endlich geklärt, sagte Antonia. Und jetzt erzähl mir eine Deiner Rom-Geschichten, wie alles hier einfach von alleine passiert, das möchte ich gern einmal hören, ich habe nämlich genau den gegenteiligen Eindruck, dass alles hier sehr mühsam ist und beinahe nichts ohne großen Aufwand und Mühen vorankommt.
    Ich überlegte einen Moment, ich hatte einen Einfall, und dann sagte ich, dass ich ihr solche Geschichten am liebsten vor Ort erzählen würde, also direkt dort, wo sie sich hier in Rom ereignet hätten. Und wo haben sie sich zum Beispiel ereignet? , fragte Antonia. – Zum Beispiel in der Via Bergamo 43, antwortete ich. – Dann lass uns dort hingehen, sagte Antonia, dann lass uns in der Via Bergamo zu Abend essen.
     
    Genau so haben wir es dann auch an einem der folgenden Abende gemacht. Wir sind mit einem Taxi in die Nähe der Via Bergamo gefahren und zunächst in ihrer Umgebung spazierengegangen. Je länger wir gingen, umso aufgeregter wurde ich, schließlich hatte ich in dieser Gegend vor Jahrzehnten einmal gelebt.
    Dann war es so weit, und ich bog mit Antonia in die Via Bergamo ein. Es handelt sich um eine schnurgerade, sonnige Wohnstraße mit vielen kleinen Geschäften, die direkt auf eine Markthalle zuläuft. Wir kamen zum Haus Nummer 43 und gingen durch einen Torbogen in den Innenhof. Die Palmen, in der Mitte ein Brunnen, die Front von geschlossenen, grünen Läden, alles war noch so, wie ich es in Erinnerung hatte.
    Wir standen einen Moment still nebeneinander, als der Portiere auf uns zukam und sofort fragte, was wir hier suchten. Ich erklärte ihm, dass ich vor Jahrzehnten einmal im fünften Stock dieses Haus zur Untermiete gewohnt habe. Wir unterhielten uns eine Weile und gingen in Gedanken die Liste der ehemaligen und jetzigen Mieter durch, der Portiere war sehr freundlich und fragte mich zum Schluss, ob ich noch einmal mit dem Aufzug hinauf in den fünften Stock fahren wolle. Ja, sehr gern , antwortete ich, und dann begleitete er uns hinüber zum Aufzug, öffnete ihn und ließ uns einsteigen. Er schloss das Außengitter, ich zog die Tür zu, dann drückte ich auf einen Knopf. Antonia und ich – wir fuhren langsam hinauf in meine Vergangenheit.
     
    Vor Jahrzehnten bin ich in genau diesem Aufzug am ersten Tag meines Rom-Aufenthalts in den fünften Stock gefahren, erzählte ich. Ich hatte die Adresse am frühen Morgen im Pfarrbüro der deutschen Gemeinde bekommen, und als ich hier oben klingelte, stand mir eine ältere Frau gegenüber, die eine kleine Pension vor allem für angehende Priester betrieb. Sie ließ mich eintreten, und als ich fragte, ob sie ein kleines, einfaches, preiswertes Zimmer für mich habe, sagte sie, dass ein solches Zimmer seit gestern frei sei. Wie lange wollen Sie denn bleiben?, fragte sie. Eigentlich hatte ich vorgehabt, nur zwei oder drei Wochen in Rom zu bleiben, es sollte ein Ferienaufenthalt sein, doch schon nach den ersten wenigen Stunden in dieser Stadt hatte ich mich entschieden, länger zu bleiben. Eigentlich möchte ich ein paar Monate bleiben, sagte ich damals. Und dann erklärte ich ihr, dass ich vorhabe, mich um einen Studienplatz für eine pianistische Ausbildung am römischen Conservatorio zu bewerben. Ah, Sie sind ein Pianist!, sagte die ältere Frau , wenn Sie ein Pianist sind, bekommen Sie das Zimmer zu einem günstigen Preis, ich habe nämlich eine Schwäche für Pianisten.
     
    Der Aufzug kam im fünften Stock an, wir stiegen aus und standen nun im hohen Flur direkt vor der Wohnungstür, vor der ich damals gestanden hatte. Ich ging mit Antonia ein paar Schritte beiseite und zeigte ihr den Blick, den man vom Flur aus in den stillen Innenhof hatte, wo der kleine Brunnen plätscherte.
    Die Signora, die mich damals aufnahm, war eine wunderbare Frau, erzählte ich weiter, sie hat mir in den nächsten Wochen sehr geholfen. Schon am zweiten Tag meines Aufenthalts durfte ich sie Signora Francesca nennen, sie hatte mich darum gebeten. Signora Francesca war vor vielen Jahren aus Südtirol nach Rom gekommen und hatte zunächst in einem Hotel und in einem Restaurant gearbeitet, danach hatte sie sich mit dieser Pension selbständig gemacht. Die Priester, die bei ihr ein und aus gingen, erhielten ein gutes Frühstück und ein einfaches bequemes

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