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Die Erfindung des Lebens: Roman

Die Erfindung des Lebens: Roman

Titel: Die Erfindung des Lebens: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hanns-Josef Ortheil
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frühen Nachmittagsstunden, in denen allen Studenten die Überäume im Conservatorio zur Verfügung standen. Ich hatte drei, vier Stunden geübt, das war mir aber auf die Dauer zu wenig gewesen, so dass ich mich nach einer weiteren Möglichkeit zum Üben umgeschaut hatte. Im Konvent der deutschen Gemeinde hatte ich schließlich einen Flügel entdeckt, es war ein alter Bösendorfer gewesen, auf ihm hatte ich dann manchmal an den Morgenden noch einmal zwei bis drei Stunden geübt.
     
    Und? Und was?! Und was noch?! An die wichtigste, stärkste Erinnerung wollte ich einfach nicht denken, obwohl sie es doch gewesen war, die mich gerade im Gespräch mit Antonia so durcheinandergebracht hatte. Clara also …, die Erinnerungen an Clara …
     
    Am zweiten Abend meines Aufenthalts war ich unten, in diesem Innenhof, einer jungen Frau begegnet, die mich begrüßt und davon erzählt hatte, dass sie die Nichte von Signora Francesca sei. Sie hatte mich aufgefordert, mit ihr einen Caffè zu trinken, und dann waren wir in die kleine Bar nebenan gegangen und hatten uns zwei, drei Stunden unterhalten.
    Clara studierte Geschichte und Italienische Literatur, sie war Südtirolerin wie Signora Francesca auch, wohnte jedoch nicht in der Pension ihrer Tante, weil sie von ihr angeblich noch strenger als eine Tochter behandelt wurde. Deshalb hatte sie sich ein Zimmer in der Nähe genommen, kam die Tante aber alle paar Tage besuchen.
    Ich hatte mich mit Clara vom ersten Moment an sehr gut verstanden, wäre aber nie auf die Idee gekommen, sie als etwas anderes als eine gute Freundin zu betrachten. Fast täglich war ich ihr irgendwo in der Nähe dieses Hauses begegnet, und meist hatten wir etwas zusammen getrunken und uns über Rom und die Leute in der Nachbarschaft unterhalten.
     
    Ich hatte ihr von meiner Vorliebe für das Kino erzählt, und so waren wir schließlich auch in das kleine Kino am Campo dei Fiori gegangen, in dem es auch viele der älteren Filme aus den sechziger Jahren noch einmal zu sehen gab. Die Kinobesuche waren der Anfang unserer gemeinsamen Unternehmungen gewesen, später waren wir zu Lesungen und Konzerten gegangen, ich hatte Clara davon überzeugen können, sich alle nur erdenkliche Musik anzuhören, ja, ich hatte es so gemacht wie jetzt mit Marietta und war mit ihr in die Jazz-Keller Trasteveres ebenso gegangen wie in die Abend-Vespern von Santa Maria in Domnica.
     
    Clara und ich – wir waren beinahe gleich groß, und wenn Menschen, die uns noch nicht kannten, mit uns sprachen, hielten sie uns zwar nicht für Geschwister, wohl aber für Verwandte. Etwas Verwandtschaftliches, ja, das gab es von Anfang an zwischen uns, wir hatten sehr ähnliche Interessen, wir liebten Musik und Literatur, liefen gerne stundenlang durch die Stadt und waren zusammen so ausgelassen, wie es keiner von uns jemals war, wenn er allein durch die Stadt ging.
    Ich glaube, wir waren beide von Rom völlig verzaubert, wir sprachen darüber nicht, natürlich nicht, aber ich denke, unsere Begeisterung hatte damit zu tun, dass wir beide in kleinen Schutzzonen und beinahe geschlossenen Räumen aufgewachsen waren, sie in einem kleinen Dorf in Südtirol nahe Brixen, und ich auf einer Insel in Köln und in einer Eremiten-Klause auf einem westerwäldischen Waldgrundstück.
    Beide lebten wir zum ersten Mal in einer Stadt weit von unserer Heimat entfernt, wir betrachteten sie als ein Terrain, das wir erobern wollten, wir wollten es besser kennenlernen als jeder Römer es kannte, ja, wir wollten ihm unsere Liebe beweisen, indem wir diesen Stadtkörper tagelang auf der Suche nach den schönsten und entlegensten Plätzen durchstreiften …
    Ich hatte Antonia lange genug warten lassen, ich musste wieder hinab. Und so riss ich mich vom Anblick des Innenhofs mit den hohen, grünen Palmen los, betrat den Aufzug und fuhr in die Tiefe. Als ich das Haus verließ, gab mir der Portiere die Hand. Kommen Sie wieder, Signore, sagte er, und ich dachte einen Moment: Ja, warum eigentlich nicht? Warum nicht noch einmal in diesem Innenhof sitzen, um ein Glas Wein zu trinken, warum nicht? Vielleicht kommt noch einer der Nachbarn von früher vorbei und erkennt mich an der Stimme! Vielleicht …, ach nun lass, lass das Vergangene vergangen sein, Antonia wartet auf Dich!
     
    Sie saß in dem Restaurant schräg gegenüber nahe der Tür und schaute mich wieder so an, als müsste sie sich Sorgen machen. Es ist alles in Ordnung, sagte ich wieder und musste lachen, als ich ihren

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