Die Erfindung des Lebens: Roman
Zimmer. So hatte sie ruhige Gäste und brauchte keinen allzu großen Aufwand zu betreiben. Als ich eine Woche hier wohnte, nahm ich der Signora die Einkäufe in der Markthalle ab, und mit der Zeit wurde ich zu ihrem Vertrauten. Frühmorgens, frühmorgens …, ich stand meist bereits gegen halb sechs auf, frühmorgens …
Ich stockte, ich konnte nicht weitersprechen, die Erinnerungen waren plötzlich zu stark. Ich blickte weiter hinab in den Innenhof und sah, wie ich den Hof durchquerte und mich mit dem früheren Portiere unterhielt. Er gab mir die Post für die Pensionsgäste, und ich reichte ihm eine Packung der schwarzen Zigarren, die ich für ihn in einem nahen Tabakladen gekauft hatte.
Anfangs sprachen wir sehr langsam miteinander, damit ich jedes Wort mitbekam. Er war so geduldig mit mir, dass er mir manche Sätze sogar mehrmals vorsprach, damit ich sie Wort für Wort wiederholen konnte. Jeden Tag gab es so eine Viertelstunde Sprachunterricht, Lektion für Lektion. Darüber hinaus hielt er mich an, in die Zeitung zu schauen, denn Zeitunglesen hielt er für das beste Sprachtraining. Manchmal saßen wir an einem schattigen Platz im Innenhof und lasen zusammen ein paar Artikel und Nachrichten. Er las vor, und ich musste ihm nachsprechen. Was ich nicht verstand, erklärte er mir, er übersetzte das Italienisch der Zeitung in ein einfacheres Italienisch.
Entschuldige, Antonia, sagte ich, die Erinnerungen an früher überfallen mich gerade. – Ich verstehe, antwortete sie, dann lasse ich Dich jetzt einmal ein paar Minuten allein. Ich gehe in das Restaurant schräg gegenüber, dort warte ich auf Dich, einverstanden? – Einverstanden, sagte ich. Sie schaute mich kurz an, als müsste sie sich vergewissern, dass mit mir alles in Ordnung sei, dann ging sie zum Aufzug, drehte sich jedoch vor dem Einsteigen noch einmal um, kam die wenigen Schritte zurück und gab mir einen Kuss auf die Wange. Es geht Dir doch gut?, fragte sie, und ich antwortete: Mach Dir keine Sorgen, es geht mir sehr gut.
Als sie verschwunden war, lehnte ich mich auf die Brüstung des Umgangs, von dem aus man in den Innenhof schauen konnte. Dieser kleine, umgrenzte, geschützte Raum war zusammen mit meinem Zimmer im fünften Stock einmal mein Lebensraum gewesen. Viele Nächte hatte ich dort unten gesessen, mich mit dem Portiere und den Nachbarn unterhalten, Wein getrunken, Erzählungen aus der Nachbarschaft gehört und Tag für Tag etwas mehr Italienisch gelernt.
Vom ersten Tag an hatte man mich hier gut aufgenommen und nicht wie einen hergelaufenen Fremden, sondern wie einen wirklichen Freund behandelt. Ich hatte mit den Menschen, die hier gelebt hatten, oft zusammen gegessen, ich hatte viel von ihrem Leben erfahren, ja, ich war mit der Zeit eine feste Größe im Reigen ihrer Gespräche und Unterhaltungen geworden. Wie oft war ich an den Abenden beim Betreten dieses Innenhofes erkannt und mit einem ecco, Giovanni, il pianista! begrüßt worden. Sie hatten mich behandelt, als wäre ich nicht ein junger, unerfahrener Pianist, sondern eine Berühmtheit, ja eine Zelebrität von der Art Arturo Benedetti Michelangelis.
Natürlich war es ein Spiel gewesen, ein Stück Komödie, aber wie elegant und abwechslungsreich hatten wir die Szenen dieser Komödie immer wieder gespielt! Und wenn es nötig war, hatten wir daraus etwas Ernstes gemacht, wie etwa in dem Fall meiner Anmeldung für die Prüfung im Conservatorio. Paolo, der Portiere, hatte mich dorthin ins Büro begleitet und später die Aufnahmeanträge für mich ausgefüllt, er hatte sich um alles gekümmert, bis ich das genaue Datum der Prüfung gewusst hatte und alle Formalitäten geregelt waren.
Das Klirren von Geschirr. Der Gesang des Vogels, den man in einem Käfig nach draußen, auf einen Balkon, gestellt hatte. Das blaue Rechteck des Himmels über mir, monochrom wie ein Rechteck von Mondrian.
Frühmorgens …, frühmorgens war ich gegen halb sechs aufgestanden und hatte in der Bar, die sich gleich neben dem Hoftor befand, einen Cappuccino und ein Cornetto gefrühstückt. Dann war ich zu Fuß hinab ins historische Zentrum gegangen, durch den großen Park der Villa Borghese bis zur Aussichtsterrasse des Pincio. Ich hatte Goethes römische Wohnung passiert und wenig später die Kirche der deutschen Gemeinde erreicht, um sieben Uhr hatte der Frühgottesdienst begonnen, in dem ich die Chororgel gespielt hatte.
Gegen acht Uhr war ich dann ein freier Mensch gewesen, bis zu den
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