Die Ernte
Hasenzähne. Seine kleinen Augen funkelten in der Dunkelheit. »Aber ich selbst glaube ja eher an die Tradition.«
»Du sagst es, alter Knabe.« Don Oscar nahm ein Einweckglas von einem Regal, das unter dem vernagelten Fenster verlief. Ralph konnte seine Verzweiflung kaum verbergen, als Don Oscar den Schraubverschluss fest verschloss.
»Ich zeig dir was«, sagte Don Oscar. Ralphs Gesicht sackte vor Enttäuschung in sich zusammen. Don Oscar führte ihn zu einem der Fässer. In diesem Moment rollte ein leises Donnergrollen durch die Berge und ließ die Wände des Gartenhäuschens erzittern.
»Zieht wohl ein Gewitter auf«, sagte Ralph. »Und ich bin zu Fuß da.«
»Das war kein Donner. Die Kerle sprengen schon wieder am Sugarfoot. Wenn die so weiter machen, sprengen sie den ganzen Berg noch zu Schotter.«
Don Oscar hob den Sperrholzdeckel von einem der Fässer, ließ ihn dann aber schnell wieder zufallen. Ein widerlicher Gestank erfüllte die Luft.
DAS sollte Ralph besser nicht sehen, dachte Don Oscar. Verdammtes Opossum, das hier hereingekrochen und dann natürlich krepiert ist. Der Gestank wird schon vergehen. Wenigstens ist es glücklich gestorben.
Er ging zum nächsten Fass, nahm den Deckel herunter und ging dann zur Seite, damit Ralph besser sehen konnte.
»Schaut aus wie zähes Teer oder flüssige Kuhscheiße«, sagte Ralph.
»Das ist erstklassige Stammwürze, mein Freund. Daraus wird dann das Wässerchen destilliert, das dir so große Freude bereitet.«
»Und warum zeigst du mir die Scheiße?«, fragte Ralph, verzog sein Rattengesicht und trat einen Schritt zurück.
»Damit du das Endprodukt so richtig schätzen kannst. Und nicht wegen des Preises herummeckerst. Wenn du nämlich wirklich einen Rausch willst – und ich rede nicht von einem leichten Rausch, sondern so, dass du wie ein Stein daliegst und weder Arme noch Beine bewegen kannst – dann tauch dein Glas da hinein und nimm einen kräftigen Schluck.«
Ralph näherte sich zögerlich und blickte in die Finsternis der gärenden Maische, als ob er aus deren Oberfläche seine Zukunft herauslesen wollte.
»Das ist eine eigene Wissenschaft, weißt du?«, sagte Don Oscar, vom Probieren gesprächig geworden. »Vergäre Zucker zu Ethanol, destilliere es um es zu reinigen und erhitze es langsam, denn sonst wird es zu wässrig. Ja, ich könnte wirklich ein Buch darüber schreiben.«
Man merkte Ralph an, dass er sich einen Scheißdreck dafür interessierte, wie aus Getreide Alkohol gemacht wurde. Vielmehr sorgte er sich um das Wann . Ein erster leichter Schüttelfrost ließ seinen Körper erbeben und aus jeder einzelner Pore seiner teigigen Haut drangen kleine Schweißperlen. Er brauchte jetzt dringend einen Drink oder er würde hier direkt auf dem Lehmboden des Gartenhäuschens ins Delirium tremens fallen.
Aber wenn du auf Pump kaufst, besonders wenn du nicht weißt, ob du jemals bezahlen können wirst, dann ist es besser das Maul zu halten und höflich im richtigen Moment zu nicken. Sonst muss ich hier noch länger rumstehen. Das ist ja verdammt lustig – rumstehen, haha, ich will lieber Rum trinken.
Ralph zeigte mit seinem Finger auf etwas im Inneren des Fasses. Es sah aus wie ein farbloser, pulveriger Faden, der sich wurzelförmig bis in das Fass hinein ausbreitete. »Was zur Hölle ist denn das?«
Don Oscar beugte sich über den Rand des Fasses, um besser sehen zu können. »Irgendein Pilz oder eine trockene Flechte, würd´ ich sagen. Ist aber weiter nicht schlimm. Der Alkohol tötet alle Keime ab.«
»Eine trockene Flechte bei der Feuchtigkeit hier drinnen?«
Don Oscar griff in das Fass hinein und berührte das herabhängende Etwas. Es fühlte sich schwammig an und zerbröselte leicht. Don Oscar rieb seine Finger aneinander und verteilte so grüne und weiße Staubpartikel auf die Maische im Fass.
»Riecht komisch«, sagte Don Oscar und roch an seinen Fingern wie ein Sommelier, der einen edlen Wein prüft.
»Wie dem auch sei, Alter. Krieg ich jetzt meinen Krug? Du weißt ja, sonst fang ich noch mehr zum Zittern an.«
Don Oscar wusste genau, wie das war, wenn Ralph kurz vor dem Zusammenbrechen war. Genau deshalb ließ er ja Ralph so lange warten. Hier, wo sich Fuchs und Hase gute Nacht sagen, gab es ja sonst keine Abwechslung. »Wann kannst du zahlen?«
Ralphs Augen wurden kohlrabenschwarz. »Ich krieg´ meine Invaliditätsrente am Ersten, wie immer.«
»Und wer sagt mir, dass du nicht schon in der Moose Lodge alles für Bier ausgeben
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