Die Erste Liebe: Nach 19 Vergeblichen Versuchen Roman
paar Klamotten einpacken und meine Eltern auf wundersame Weise davon überzeugen, dass sie mich mit dir allein verreisen lassen.«
»Sag, du hast einen Sommerjob. In einem Ferienlager oder so was«, schlug Colin vor.
»Gute Idee, außer dass ich meine Mutter nicht anlüge, weil, nur ein Hund belügt seine eigene Mutter.«
»Hmm.«
»Es wäre natürlich was anderes, wenn jemand anderes sie anlügt. Damit könnte ich leben.«
»Ich kann deine Mutter nicht anlügen«, widersprach Colin. Fünf Minuten später parkten sie in Ravenswood, einem Chicagoer Wohnviertel, in zweiter Reihe und sprangen aus dem Wagen. Mit Colin im Schlepptau stürmte Hassan das Haus. Im gut ausgestatteten Wohnzimmer fand er seine Mutter in einem Sessel, schlafend.
»Hey, Mama«, rief Hassan. »Wach auf.« Sie erschrak, doch dann lächelte sie und begrüßte die beiden auf Arabisch.
Auf Arabisch antwortete Colin: »Meine Freundin hat mich sitzen lassen, und ich habe Liebeskummer, deswegen wollen Hassan und ich, äh … äh, Ferien machen, mit dem Auto. Ich weiß nicht, wie man das auf Arabisch erklärt.«
Mrs. Harbish schüttelte den Kopf und spitzte die Lippen. »Habe ich dir nicht gesagt«, sagte sie mit arabischem Akzent, »dass du dich nicht mit Mädchen einlassen sollst? Hassan ist ein guter Junge, er trifft sich nicht mit Mädchen. Und schau, wie glücklich er ist. Du solltest von ihm lernen.«
»Genau das will er mir auf dieser Reise beibringen«, sagte Colin, auch wenn nichts weiter entfernt von der Wahrheit war. Hassan, der inzwischen seine Sachen gepackt hatte, kam ins Wohnzimmer zurück, mit einem halb offenen Seesack beladen, aus dem die Kleider quollen. » Ohiboke 7 , Mama«, sagte er und beugte sich zu ihr, um ihr einen Kuss zu geben.
Plötzlich stand Mr. Harbish im Pyjama in der Tür und sagte auf Englisch: »Du gehst nirgendwohin.«
»Aber, Dad. Wir müssen . Schau ihn dir an. Er ist total fertig.« Colin starrte Mr. Harbish an und versuchte, so verzweifelt wie möglich auszusehen. »Er geht mit mir oder ohne mich, aber wenn ich mitkomme, kann ich mich wenigstens um ihn kümmern.«
»Colin ist ein guter Junge«, sagte Mrs. Harbish zu ihrem Mann.
»Ich rufe jeden Tag an«, sagte Hassan. »Außerdem sind wir nicht lange weg. Nur, bis es ihm wieder besser geht.«
Colin, der jetzt vollständig zu improvisieren bereit war, kam eine Idee. »Ich besorge Hassan einen Job«, sagte er zu Mr. Harbish. »Ich glaube, wir müssen beide lernen, wie wichtig harte Arbeit ist.«
Mr. Harbish brummte zustimmend und wandte sich an seinen Sohn. »Erst mal musst du lernen, wie wichtig es ist, seine Zeit nicht mit so fürchterlichen Serien wie dieser Richterin Judy zu verschwenden. Wenn du in einer Woche anrufst und sagst, du hast einen Job, kannst du von mir aus so lange bleiben, wie du willst.«
Hassan ignorierte die Schmähung und murmelte unterwürfig: »Danke, Dad.« Dann küsste er seine Mutter auf beide Wangen und marschierte zur Tür.
»Was für ein Arsch«, sagte Hassan, als sie wieder sicher in Satans Leichenwagen saßen. »Es ist eine Sache, mich der Faulheit zu bezichtigen. Aber den Namen von Amerikas bester Fernsehrichterin zu verunglimpfen – das geht unter die Gürtellinie.«
Gegen ein Uhr früh war Hassan eingeschlafen. Colin fuhr auf der I-65 durch Indianapolis nach Süden, trunken von mit Büchsenmilch verdünntem Tankstellenkaffee und der berauschenden Einsamkeit der nächtlichen Straße. Es war eine heiße Nacht für Anfang Juni, und weil seit der Jahrtausendwende die Klimaanlage nicht mehr funktionierte, waren alle Fenster offen. Das Schöne am Autofahren war, dachte er, dass es nicht zu wenig und nicht zu viel Aufmerksamkeit verlangte – ein Wagen am Randstreifen, Polizei vielleicht, Fuß vom Gas, Zeit den Sattelschlepper zu überholen, Blinken, Blick in den Rückspiegel, Hals verrenken, um den toten Winkel zu überblicken, ja, alles gut, linke Spur – gerade so viel, um Colin von dem nagenden Loch in seinem Bauch abzulenken.
Um sich zu beschäftigen, dachte Colin an andere Löcher in anderen Bäuchen. Er dachte an Erzherzog Franz Ferdinand, der 1914 ermordet worden war. Als er das blutige Loch in seiner Mitte sah, sagte der Erzherzog: »Nichts passiert.« Was für ein Irrtum! Es gibt keinen Zweifel daran, dass der Erzherzog eine wichtige Rolle in der Geschichte spielte, auch wenn er weder ein Wunderkind noch ein Genie gewesen war: Seine Ermordung löste den Ersten Weltkrieg aus, und sein Tod führte zu
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