Die Erste Liebe: Nach 19 Vergeblichen Versuchen Roman
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Colin vermisste sie. Sie zu vermissen hielt ihn wacher als der Kaffee, und als Hassan ihn vor eine Stunde gefragt hatte, ob er ans Steuer dürfte, hatte Colin Nein gesagt, weil das Fahren ihn in Gang hielt – unter hundertzwanzig bleiben; Gott, habe ich Herzklopfen; Kaffee schmeckt mir nicht; ich bin total überdreht; Abstand halten; okay, Lastwagen überholen; okay, zurück auf die rechte Spur; und jetzt nur noch meine Scheinwerfer gegen die Dunkelheit. Beim Fahren war die Einsamkeit des Ungeliebtseins weniger erdrückend. Fahren war eine Form von Denken, die einzige Form, die er aushielt. Trotzdem, der Gedanke lauerte irgendwo da draußen, direkt außerhalb des Scheinwerferlichts: Er war sitzen gelassen worden. Von einem Mädchen namens Katherine. Und das zum neunzehnten Mal in seinem Leben.
Wenn es um Mädchen geht (und bei Colin ging es meistens um Mädchen), hat jeder so seine Vorlieben. Colin Singletons Vorliebe hatte nichts mit dem Aussehen zu tun, Colin Singletons Vorliebe war rein verbal: Er stand auf Katherines. Nicht auf Katie oder Kat oder Cathy oder Kati oder Trine oder Ina oder Kate oder, Gott behüte, Katharina. K-A-T-H-E-R-I-N-E. Er hatte neunzehn Freundinnen gehabt. Alle hatten Katherine geheißen. Und alle – jede Einzelne – hatten ihn am Ende sitzen lassen.
Für Colin teilte sich die Welt in zwei Typen von Menschen: Sitzenlasser und Sitzengelassene. Manche behaupten vielleicht, dass sie schon beides gewesen sind, aber darum geht es nicht – jeder hat eine Veranlagung zu dem einen oder dem anderen Schicksal. Die Sitzenlasser müssen nicht immer die Herzensbrecher sein und die Sitzengelassenen nicht immer die mit dem gebrochenen Herz. Doch jeder hat eine Tendenz. 8
Vielleicht hätte sich Colin daran gewöhnen sollen, an das Auf und Ab von Beziehungen. Partnerschaften endeten früher oder später immer gleich: mit Liebeskummer. Wenn man darüber nachdachte, und das tat Colin viel, endete jede romantische Beziehung mit 1) Trennung, 2) Scheidung oder 3) dem Tod. Doch Katherine XIX. war anders gewesen, zumindest hatte er das Gefühl gehabt. Sie hatte ihn geliebt, und er hatte sie zurückgeliebt, leidenschaftlich. Er liebte sie immer noch – er spürte, wie ihm die Worte beim Fahren durch den Kopf tanzten: Ich liebe dich, Katherine. Ihr Name klang anders, wenn er ihn in den Mund nahm. Dann war es nicht mehr der Name, von dem er so lange besessen war, sondern ein Wort, das nur sie beschrieb, ein nach Flieder duftendes Wort, das das Blau ihrer Augen einfing und ihre langen Wimpern.
Während der Wind durch die offenen Fenster blies, dachte Colin über Sitzenlasser und Sitzengelassene und den Erzherzog nach. Hinten auf dem Rücksitz grunzte und schnüffelte Hassan im Schlaf, als ob er träumte, er wäre ein Schäferhund, und Colin spürte das gnadenlose Reißen in seinem Bauch und dachte: Es ist alles SO KINDISCH! UND SO LÄCHERLICH! DU BIST PEINLICH! VERGISS ES VERGISS ES VERGISS ES! Nur wusste er nicht genau, was »es« war.
Katherine I.: Der Anfang (vom Anfang)
Colins Eltern hatten Colin immer für völlig normal gehalten, bis zu einem bestimmten Junimorgen. An jenem Morgen saß der zwei Jahre und einen Monat alte Colin in seinem Hochstuhl und frühstückte eine undefinierbare Masse pflanzlichen Ursprungs, während sein Vater am anderen Ende des kleinen Küchentischs die Chicago Tribune las. Colin war dünn für sein Alter, aber dafür lang, und er hatte kleine braune Ringellöckchen, die mit einsteinscher Unvorhersehbarkeit in alle Richtungen abstanden.
»Dre-i Le-i-chen gefunden«, erklärte Colin, nachdem er einen Löffel Brei heruntergeschluckt hatte. »Nein, will Gemüse«, sagte er dann zu seinem Brei.
»Was hast du gesagt, Kleiner?«
»Dre-i Le-i-chen gefunden. Ich will Pommfritz, bitte, danke.« 9
Colins Vater drehte die Zeitung um und starrte die fette Schlagzeile über dem Knick auf der Titelseite an. Das war Colins erste Erinnerung: Sein Dad lässt die Zeitung sinken und strahlt ihn an. Er hatte die Augen weit aufgerissen, und sein Lächeln ging von einem Ohr zum anderen. »CINDY! DER JUNGE LIEST DIE ZEITUNG!«
Colins Eltern gehörten zu den Leuten, die furchtbar gern lasen. Seine Mutter war Französischlehrerin an der Kalman School, einer teuren, renommierten Privatschule im Zentrum Chicagos, und sein Vater war Soziologieprofessor an der Northwestern University im Norden der Stadt. Und nachdem Colin die drei Leichen in der Zeitung gefunden hatte,
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