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Die erste Nacht - Roman

Die erste Nacht - Roman

Titel: Die erste Nacht - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marc Levy
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träumst noch immer davon, den Ton anzugeben.«
    Er erhob sich und lief im Zimmer auf und ab.
    »Wenn das eine Vergiftung war, wird Sie das teuer zu stehen kommen, Sir Ashton.«
    Er fegte das Schachbrett vom Tisch.
    Die Tatsache, dass er zum zweiten Mal an diesem Abend die Beherrschung verlor, gab ihm sehr zu denken. Ivory betrachtete die auf dem Teppich verstreuten Figuren, der schwarze und der weiße Läufer lagen nebeneinander. Um ein Uhr nachts beschloss er, gegen eine Regel zu verstoßen, die er sich selbst auferlegt hatte. Er griff zum Telefon und wählte eine Nummer in Amsterdam. Als Vackeers abhob, hörte er, wie ihm sein Freund eine äußerst sonderbare Frage stellte. Konnte ein Gift die Symptome einer akuten Lungenentzündung hervorrufen?
    Vackeers wusste es nicht, versprach aber, sich möglichst schnell zu informieren. Ob es nun Taktgefühl oder ein Freundschaftsbeweis war, jedenfalls stellte er seinem Freund keine Fragen.

Im Kloster von Garther
    Zwei Männer stützen mich, während ein dritter meinen Oberkörper reibt. Ich sitze auf einem Stuhl, die Füße in einer Schüssel mit warmem Wasser, und habe langsam wieder genug Kraft, um mich aufrecht zu halten. Man hat mir meine feuchten, schmutzigen Kleider ausgezogen und eine Art Sarong angelegt. Selbst wenn ich manchmal noch zittere, hat mein Körper fast wieder seine normale Temperatur erreicht. Ein Mönch betritt den Raum und stellt eine Schale mit Reis und eine mit Suppe auf den Boden. Als ich die Flüssigkeit an meine Lippen führe, bemerke ich, wie schwach ich bin. Kaum habe ich fertig gegessen, strecke ich mich auf der Matte aus und schlafe ein.
    Am frühen Morgen holt mich ein anderer Mönch und bittet mich, ihm zu folgen. Wir laufen durch einen Arkadengang. Alle zehn Meter öffnet sich eine Tür auf einen großen Raum, in dem die Schüler der Lehre ihres Meisters lauschen. Ich habe fast den Eindruck, mich in einer Ordensschule im guten alten England zu befinden, dann folgt der nächste Flügel des riesigen Festungsvierecks, eine Galerie, an deren Ende man mich in einen unmöblierten Raum führt.
    Dort verbringe ich einen guten Teil des Vormittags allein. Ein Fenster geht auf einen Innenhof des Klosters, wo ich ein eigenartiges Schauspiel beobachte. Ein Gong hat zwölf geschlagen, und Hunderte von Mönchen kommen in Reihen herbeigelaufen, lassen sich in regelmäßigen Abständen nieder und beten. Ich kann nicht umhin, mir vorzustellen, Keira könnte
unter einem dieser Gewänder verborgen sein. Wenn meine Erinnerung an die letzte Nacht real ist, ist sie in diesem Kloster versteckt, vielleicht sogar irgendwo auf dem Hof unter diesen betenden Mönchen. Warum hält man sie hier fest? Ich denke nur daran, sie zu finden und fortzubringen.
    Ein Lichtstrahl gleitet über den Boden, ich drehe mich um: In der Tür steht ein Mönch, ein anderer, dessen Gesicht von einer Kapuze verhüllt ist, kommt auf mich zu. Er schiebt sie zurück, und ich traue meinen Augen nicht.
    Über deine Stirn zieht sich eine lange Narbe, doch die tut deiner Schönheit keinen Abbruch. Ich möchte dich in die Arme schließen, aber du weichst einen Schritt zurück. Dein Haar ist kurz geschnitten, dein Teint bleicher als sonst. Dich zu sehen, ohne dich berühren zu können, ist die grausamste aller Strafen, dich in meiner Nähe zu spüren und nicht an mich drücken zu können, ist nachgerade unerträglich. Du siehst mich durchdringend an, hältst aber Abstand, so als sei die Zeit der Umarmungen vorbei, als habe dein Leben einen Verlauf genommen, bei dem ich nicht mehr willkommen bin. Und sollte ich Zweifel daran hegen, so sind deine Worte noch verletzender als die Distanz, die du zwischen uns schaffst.
    »Du musst gehen«, murmelst du tonlos.
    »Ich bin gekommen, um dich zu holen.«
    »Ich habe dich um nichts gebeten, du musst wieder fort und mich in Ruhe lassen.«
    »Deine Grabungen, die Fragmente … Du kannst sicher auf alles verzichten, aber nicht darauf.«
    »Das ist nicht mehr der Mühe wert, mein Anhänger hat mich hergeführt, hier finde ich mehr, als ich anderswo gesucht habe.«
    »Ich glaube dir nicht! Dein Leben ist nicht hier in diesem abgelegenen Kloster.«

    »Eine Frage der Sichtweise, die Erde ist rund, das weißt du besser als jeder andere. Was mein Leben betrifft, so hätte ich es beinahe deinetwegen verloren. Wir waren leichtfertig. Eine zweite Chance gibt es nicht. Geh, Adrian!«
    »Nicht solange ich nicht das Versprechen eingelöst habe, das ich dir gegeben habe.

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