Die erste Nacht - Roman
erleichtert, wenn er in der Lage wäre, sie überhaupt aufzunehmen. Was gibt es Neues über seinen Zustand?«
»Leider nichts, aber alle scheinen optimistisch, es heißt, es könne sich nur noch um einen Tag, vielleicht gar um wenige Stunden handeln, bis er wieder das Bewusstsein erlangt.«
»Hoffen wir, dass dieser Optimismus gerechtfertigt ist. Ich fliege noch heute zurück nach Paris. Ich muss einen Weg finden, um Keira aus dieser Lage zu befreien. Kümmern Sie sich um Adrian, sollten Sie das Glück haben, mit ihm zu sprechen, sagen Sie ihm noch nichts.«
»Ich kann ihm Keiras Schicksal nicht verheimlichen, das ist unmöglich, er würde mich später dafür erwürgen.«
»Das meine ich nicht. Teilen Sie ihm nichts von unserem Verdacht mit, es ist noch zu früh, ich habe meine Gründe. Bis bald Walter, ich melde mich bei Ihnen.«
Garther
»Welches Versprechen hast du dem Lama gegeben?«
Du siehst mich traurig an und zuckst mit den Schultern. Die Männer, die uns umbringen wollten, sagst du, würden ihre Jagd auch über die chinesischen Grenzen hinaus fortsetzen, wenn sie erführen, dass du überlebt hast. Und sollten sie deiner nicht habhaft werden, würden sie sich an mich halten. Quasi als Gegenleistung für alles, was er für uns getan hat, hat dich der Lama um zwei Jahre deines Lebens gebeten. Zwei Jahre eines inneren Rückzugs, die du nutzen sollst, um über dein Dasein nachzudenken. »Es gibt keine zweite Chance«, hat er dir gesagt. »Zwei Jahre, um Bilanz über ein Leben zu ziehen, das ich beinah verloren hätte, das ist kein schlechter Handel.« Wenn sich die Lage einmal beruhigt hätte, würde der Lama einen Weg finden, um dich über die Grenze zu bringen.
»Zwei Jahre, um unser beider Leben zu retten, mehr hat er nicht verlangt, und ich habe mich auf den Pakt eingelassen. Ich habe durchgehalten, weil ich die Gewissheit hatte, dass du außer Gefahr warst. Wenn du wüsstest, wie oft ich mir in dieser Zeit deine Tage vorgestellt habe und die Orte habe Revue passieren lassen, an denen wir zusammen waren. Wenn du wüsstest, wie oft ich in Gedanken in deinem Häuschen in London war … Ich habe meine Zeit mit diesen Traumvorstellungen gefüllt.«
»Ich verspreche dir, dass …«
»Später, Adrian«, sagst du und legst mir die Hand auf den
Mund. »Morgen musst du gehen. Ich habe nur noch achtzehn Monate durchzuhalten. Mach dir keine Sorgen um mich, das Leben hier ist gar nicht so unangenehm, ich bin an der Luft, ich habe Muße nachzudenken, viel Muße. Sieh mich nicht an, als wäre ich eine Heilige oder eine Erleuchtete. Und halte dich nicht für wichtiger, als du bist, ich tue das nicht für dich, sondern für mich.«
»Für dich? Was hast du dabei zu gewinnen?«
»Dass ich dich nicht noch einmal verliere. Hätte ich den Mönchen nicht gesagt, dass du dich im Wald aufhältst, wärst du gestern Nacht umgekommen.«
»Du hast sie informiert?«
»Ich konnte dich doch nicht erfrieren lassen!«
»Egal, was du dem Lama versprochen hast, wir verschwinden von hier. Entweder du kommst freiwillig mit oder ich wende Gewalt an, selbst wenn ich dich niederschlagen muss.«
Zum ersten Mal seit Langem sehe ich dein Lächeln, ein echtes Lächeln. Du streichst mir über die Wange.
»Gut, verschwinden wir. Ich würde es hier sowieso nicht mehr aushalten, wenn ich zusehen müsste, wie du gehst. Und ich würde dich hassen, wenn du mich zurückließest.«
»Wie lange wird es dauern, bis deine Wächter bemerken, dass du nicht mehr in deiner Zelle bist?«
»Es sind keine Wächter, ich kann gehen, wohin ich will.«
»Und der Mönch, der dich zum Fluss begleitet hat, sollte er dich nicht bewachen?«
»Er sollte mich begleiten, damit mir unterwegs nichts zustößt. Ich bin die einzige Frau in diesem Kloster. Zum Waschen gehe ich jede Nacht an den Fluss. Das heißt im Sommer und Frühherbst habe ich es getan, aber gestern war das letzte Mal.«
Ich öffne meine Tasche, ziehe einen Pullover und eine Hose heraus und reiche sie ihr.
»Was machst du da?«
»Zieh das an, wir brechen sofort auf.«
»Hat dir deine gestrige Erfahrung nicht gereicht? Draußen müssen jetzt null Grad sein, in einer Stunde sind es minus zehn. Wir haben nicht die geringste Chance, die Ebene bei Nacht zu durchqueren.«
»Tagsüber stehen unsere Chancen nicht besser, weil wir mit Sicherheit entdeckt werden! Glaubst du, wir überleben eine Stunde Fußmarsch?«
»Das nächste Dorf ist eine Stunde entfernt…, aber mit dem Auto! Und wir haben
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