Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die erste Nacht - Roman

Die erste Nacht - Roman

Titel: Die erste Nacht - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marc Levy
Vom Netzwerk:
können!«
    »Ich wollte Ihrer beider Talente nicht herunterspielen. Lassen Sie mich einige Tage über Ihre Theorie nachdenken. Ich werde meine Lektüre wieder aufnehmen, und sollte ich den geringsten Hinweis finden, der Ihrer Suche zuträglich sein könnte, rufe ich Sie an.«
    Keira schrieb meine Telefonnummer auf einen Zettel und reichte ihn Ivory.
    »Wohin wollen Sie jetzt?«, fragte er, als er uns zur Tür begleitete.
    »Nach London. Wir haben ebenfalls einige Recherchen durchzuführen.«
    »Schöne Grüße nach England. Und noch eine letzte Sache: Sie hatten vorhin ganz recht, das Glück war auf Ihren Reisen nicht wirklich Ihr Begleiter, darum bitte ich Sie um größtmögliche Vorsicht. Und vor allem führen Sie niemandem das Phänomen vor, dessen Zeuge ich geworden bin.«
    Wir verließen den alten Professor, holten meine Reisetasche aus dem Hotel ab - Keira verkniff sich jeglichen Kommentar -, dann begleitete ich sie zum Museum, wo sie sich vor unserer Abreise von Jeanne verabschieden wollte.

London
    Als mich auf dem Bahnsteig der Gare du Nord ein höchst seltsames Paar anrempelte, ohne sich zu entschuldigen, schenkte ich den beiden zunächst keine weitere Beachtung, dann aber traf ich sie im Speisewagen wieder. Auf den ersten Blick einfach nur ein junger Engländer mit seiner Freundin - einer so nachlässig gekleidet wie die andere -, allerdings musterte mich der Typ so eigenartig. Die beiden bahnten sich ihren Weg in Richtung Triebwagen, und da der Zug in einer Viertelstunde in Ashford halten würde, schloss ich daraus, dass sie ihr Gepäck holen wollten, um dann auszusteigen. Der Bedienstete des Bistros sah den beiden Glatzköpfen mit einem Seufzer nach.
    »Der Haarschnitt macht noch keinen Mönch«, meinte ich und bestellte mir einen Kaffee. »Wenn man sie näher kennenlernt, sind sie vielleicht ganz nett.«
    »Ja, vielleicht«, erwiderte der Kellner zweifelnd. »Doch der Typ hat die ganze Fahrt damit zugebracht, sich die Nägel mit seinem Messer sauber zu machen, und das Mädchen hat ihm dabei zugeschaut. Nicht sehr motivierend, um ein Gespräch anzufangen.«
    Ich bezahlte mein Getränk und kehrte zu meinem Platz zurück. Als ich den Wagen betrat, in dem Keira inzwischen eingenickt war, begegnete ich den beiden erneut. Sie lungerten jetzt in der Nähe des Gepäckabteils herum, wo wir unsere Reisetaschen abgestellt hatten. Der Junge machte dem Mädchen ein Zeichen, sie schnellte herum und versperrte mir den Weg.
    »Alles besetzt!«, sagte sie von oben herab.
    »Ach ja, tatsächlich?«, erwiderte ich.
    Der Junge mischte sich ein, zog das Messer aus der Tasche und gab vor, den Ton, in dem ich seiner Freundin geantwortet hatte, nicht zu schätzen.
    Ich habe in meiner Jugend viel Zeit in Ladbroke Grove verbracht, wo mein bester Schulfreund wohnte. Ich wusste, dass bestimmte Straßen gewissen Banden vorbehalten waren, dass es Kreuzungen gab, die wir nicht überqueren durften, Cafés, die wir besser nicht betraten, wenn wir Kicker spielen wollten. Ich wusste, dass diese beiden Skinheads Streit suchten. Eine falsche Bewegung, und das Mädchen würde mich von hinten angreifen und mir den Arm umdrehen, damit ihr Freund auf mich einschlagen könnte. Läge ich dann erst am Boden, würden sie mich mit Fußtritten traktieren. Das England meiner Kindheit bestand nicht nur aus Gärten mit gepflegtem Rasen; in dieser Hinsicht hatten sich die Zeiten nicht sonderlich geändert. Es ist nie leicht, seinem Instinkt zu folgen, wenn man Prinzipien hat. Ich verpasste dem Mädchen eine kräftige Ohrfeige, woraufhin sie rücklings auf den Gepäckstücken landete und sich die Wange hielt. Der Junge, der reichlich verdattert war, sprang auf mich zu und fuchtelte mit der Klinge vor meiner Nase herum. Es wurde Zeit, den Halbwüchsigen in mir zu vergessen, um dem Erwachsenen, der ich inzwischen geworden war oder zumindest hätte sein sollen, herauszukehren.
    »Zehn Sekunden«, sagte ich zu ihm, »in zehn Sekunden nehme ich dir dein Messer ab, und wenn ich es habe, steigst du nackt aus diesem Zug. Oder aber du steckst es wieder ein, und wir belassen es dabei.«
    Das Mädchen hatte sich wieder aufgerappelt und kam wütend auf mich zu. Der Junge wurde immer nervöser.
    »Stich dieses Schwein ab!«, schrie sie. »Los, Tom, stich zu!«
    »Tom, du müsstest deine Freundin besser im Griff haben. Steck dieses Ding weg, bevor sich einer von uns beiden verletzt.«
    »Dürfte ich wissen, was hier los ist?«, fragte Keira in meinem Rücken.
    »Ein

Weitere Kostenlose Bücher