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Die erste Nacht - Roman

Die erste Nacht - Roman

Titel: Die erste Nacht - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marc Levy
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kleiner Streit«, erwiderte ich und drängte sie zurück.
    »Soll ich Hilfe holen?«
    Mit Verstärkung hatten die beiden wohl nicht gerechnet. Der Zug drosselte bereits das Tempo; wir fuhren in den Bahnhof von Ashford ein. Während er noch mit dem Messer drohte, zog Tom das Mädchen zur Seite. Keira und ich blieben unbewegt stehen und ließen die Waffe nicht aus den Augen.
    »Verschwindet!«, sagte der Junge.
    Als der Zug hielt, stürzte er auf den Bahnsteig und rannte mit seiner Freundin davon.
    Keira sah ihnen fassungslos nach und rührte sich nicht vom Fleck. Die Fahrgäste, die aussteigen wollten, drängten uns zur Seite. Wir kehrten zu unseren Plätzen zurück, und der Zug setzte sich erneut in Bewegung. Keira meinte, ich sollte die Polizei benachrichtigen, doch es war zu spät, unsere beiden Rowdys hatten sich schon aus dem Staub gemacht, und mein Handy befand sich in meiner Reisetasche. Ich stand auf, um mich zu vergewissern, dass diese überhaupt noch dort war. Keira half mir, unsere beiden Gepäckstücke zu inspizieren. Ihre Tasche war unberührt, meine war geöffnet worden; man hatte sie durchwühlt, doch nichts schien zu fehlen. Ich nahm mein Handy und meinen Pass heraus und steckte beides in meine Jackentasche. Als wir in London eintrafen, war der Vorfall schon so gut wie vergessen.
     
    An meinem kleinen Haus angelangt, überkam mich ein unsägliches Glücksgefühl, und ich konnte es kaum erwarten einzutreten.
Ich wühlte in meinen Taschen nach meinem Schlüssel und war sicher, ihn bei unserer Abreise in Paris eingesteckt zu haben. Zum Glück sah mich meine Nachbarin von ihrem Fenster aus. Gelobt seien die alten Gewohnheiten - sie bot mir an, durch ihren Garten zu gehen.
    »Sie wissen ja, wo die Leiter steht«, rief sie. »Ich bin gerade dabei zu bügeln. Wenn ich fertig bin, mache ich wieder zu, keine Sorge.«
    Ich bedankte mich und kletterte kurz darauf über den Lattenzaun. Nachdem die Tür auf der Rückseite meines Hauses immer noch nicht repariert war - vielleicht sollte ich es besser bleiben lassen -, rüttelte ich etwas an der Klinke und gelangte endlich ins Innere. Dann öffnete ich Keira, die draußen auf mich wartete.
    Am Nachmittag erledigten wir ein paar Einkäufe. Ein Gemüsestand lockte Keira besonders an; kurz darauf quoll unser Korb derart über, dass wir eine ganze Kompanie damit hätten durchfüttern können. Leider hatten wir an diesem Abend keine Zeit zum Essen.
    Ich war in der Küche damit beschäftigt, Zucchini sorgfältig in kleine Würfel zu schneiden, wie Keira es mir aufgetragen hatte, während sie eine Soße bereitete, deren Rezept sie mir nicht verraten wollte. Das Telefon klingelte. Nicht mein Handy, sondern das Festnetz. Keira und ich wechselten verwundert einen Blick. Ich eilte ins Wohnzimmer und hob ab.
    »Es stimmt also, dass Sie wieder in London sind!«
    »Wir sind vor Kurzem eingetroffen, mein lieber Walter.«
    »Danke, dass Sie mich benachrichtigt haben, wirklich sehr liebenswürdig von Ihnen.«
    »Wir kommen gerade erst vom Bahnhof…«
    »Schon sonderbar, dass ich über einen Boten des Federal Express
von Ihrer Ankunft erfahre. Sie sind schließlich nicht Tom Hanks, soweit ich weiß!«
    »Ein Bote hat Sie von unserer Rückkehr in Kenntnis gesetzt? Höchst merkwürdig …«
    »Und stellen Sie sich vor, in der Akademie wurde ein Brief für Sie abgegeben, das heißt eigentlich nicht für Sie; auf dem Umschlag steht der Name Ihrer Freundin und darunter: ›Bitte weiterleiten‹. Veranlassen Sie doch das nächste Mal, dass Ihre Post direkt an mich adressiert wird. Übrigens steht auch noch ›dringend‹ dabei. Wünschen Sie, dass ich das Schreiben bei Ihnen abliefere, nachdem ich ja inzwischen zu Ihrem persönlichen Briefträger mutiert bin?«
    »Moment mal, ich frage Keira.«
    »Ein Umschlag mit meinem Namen, an deine Akademie geschickt? Was ist denn das für eine Geschichte!«, rief sie.
    Ich wusste es auch nicht und fragte, ob es ihr recht sei, dass Walter ihn bei uns vorbeibrächte, wie er so freundlich angeboten hatte.
    Keira fuchtelte mit den Händen in der Luft, woraus ich messerscharf schloss, dass dies das Allerletzte war, was sie wollte. Zu meiner Linken redete mir Walter ins Ohr, zu meiner Rechten verzog Keira das Gesicht, und ich stand in der Mitte dumm da. Da ich eine Entscheidung treffen musste, bat ich Walter, in der Akademie auf mich zu warten; es kam gar nicht infrage, dass er halb London durchquerte, ich würde das Schreiben abholen. Ich legte auf,

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