Die erste Todsuende
Delaney war etwas beunruhigt. Natürlich war es denkbar, daß Thorsen in einer Sitzung war oder auf dem Weg zu irgendeiner Revierwache. Doch ein leichtes Gefühl des Unbehagens blieb.
In seinem Notizbuch schlug er die Adresse von 'Camper-Glück' nach, nahm ein Taxi zur Spring Street und ging, nachdem er ausgestiegen war, erst ein paarmal die Straße auf und ab und sah sich um. Lauter schmutzige hohe Gebäude mit kleinen Werkstätten, Druckereien und Ledergroßhandlungen. Eine merkwürdige Nachbarschaft für ein Geschäft wie 'Camper-Glück'.
Die Firma hatte den ersten und zweiten Stock eines zehnstöckigen Hauses inne. Delaney stieg die Treppe zum ersten Stock hinauf, doch an der Tür war ein Schild, auf dem es hieß: „Büro und Versand. Verkauf im zweiten Stock." Er kletterte eine Treppe höher. Er wollte sich erst etwas umsehen, ehe er mit dem Inhaber sprach. Er sah in seinem Notizbuch nach, wie er hieß. Ach ja, Sol Appel.
Der „Laden" war ein riesiger Lagerraum mit hoher Decke. Überall Stahlregale und nur wenige Schaukästen; nirgends der Versuch, etwas durch elegante Aufmachung an den Mann zu bringen. Die meisten Artikel waren auf dem Fußboden gestapelt, lagen auf rohen Borden oder hingen einfach an Haken an den weißgetünchten Wänden.
Wie Langley gesagt hatte, war es ein faszinierendes Sammelsurium: Rucksäcke, Schlauchboote, Wanderstiefel, Steigeisen, Trockennahrung, Petroleumlampen, batteriegeheizte Socken, Buschmesser, Hängematten, Schlafsäcke, Kochgeschirr fürs Lagerfeuer, Jagdmesser, Angelruten, Spulen, Fischreusen, Felshaken, Bergseile, Bootsausrüstungen — eine Fülle von Dingen, vom Angelhaken für fünf Cent bis zum prachtvollen roten, dreiräumigen Zelt mit Panoramafenster und Moskitonetz davor, das $ 1495.- kostete.
'Camper-Glück' schien trotz der wenig günstigen Lage die Käufer anzuziehen. Delaney zählte mindestens vierzig Kunden, die sich umsahen, und die Verkäufer waren eifrig mit dem Ausschreiben von Kassenzetteln beschäftigt. Endlich gelangte er in die Bergsportabteilung, wo es alles gab: Haken, Steigeisen, Gurte und Klettergürtel, Bergseile, Packsäcke mit Leichtmetall-Packrahmen und eine große Auswahl von Eispickeln. Kurzstielige Pickel waren in zwei Ausführungen vorhanden: einer, wie Langley ihn gekauft hatte, der andere mit hölzernem Stiel und ohne Zahnung an der Unterseite der Spitze. Delaney sah ihn sich genau an und entdeckte schließlich auf dem Stiel den Stempel „Made in USA".
Er hielt einen vorüberhastenden Verkäufer an und fragte ihn, wo Mr. Appel zu finden sei. „Sol ist im Büro - " sagte der Verkäufer und eilte weiter. „Eine Treppe tiefer."
Delaney stieß die schwere Tür im ersten Stock auf und stand in einem kleinen, aus rohem Sperrholz gezimmerten Empfangsraum. Eine Glastür führte in den weitläufigen Raum dahinter, offenbar eine Kombination aus Lager und Versandstelle. In einer Ecke des Empfangsraums saß eine Telefonistin mit einem Kopfhörer auf dem Kopf vor einer Stöpselvermittlung, von der Delaney wußte, daß sie seit Jahren nicht mehr hergestellt wurde. 'Camper-Glück' schien ein gut florierendes Unternehmen zu sein, doch es war auch klar, daß die Gewinne nicht in elegante Büroeinrichtungen und verführerische Dekorationen gesteckt wurden.
Er wartete geduldig, bis die Telefonistin ein halbes Dutzend Anrufe vermittelt hatte. Schließlich sagte er verzweifelt: „Ich möchte Mr. Appel sprechen, bitte! Mein Name ist..."
Das Mädchen steckte den Kopf durch eine kleine, in die Bretterwand eingelassene Öffnung und rief laut: „Sol. Jemand, der Sie sprechen will."
Delaney nahm auf dem schmalen Sofa Platz. Einem wackeligen Gestell mit Rissen im Plastikbezug. Der überquellende Aschenbecher auf dem Boden amüsierte ihn. Den einzigen Schmuck im Raum bildete eine Plakette auf der Sperrholzwand, die Mr. Solomon Appel großen Einsatz für den United Jewish Appeal bestätigte.
Die Glastür wurde aufgestoßen, und ein korpulenter, schwitzender Mann rauschte herein. Bei Delaney blieb der Eindruck von einem runden, pausbäckigen Gesicht haften (der Mann im Mond), einer zerkauten, unangezündeten Zigarre, einem fadenscheinigen, ärmellosen, schreiend bunten Pullover, überraschend „modischen", weiß abgesteppten Jeans in Dunkelblau und bunt verzierten indianischen Mokassins.
„Sie kommen von Benson & Hurst?" fragte der Mann. Er sprach ungeheuer schnell und ohne die Zigarre aus dem Mund zu nehmen. „Ich bin Sol Appel. Wo zum Teufel
Weitere Kostenlose Bücher