Die erste Todsuende
Ehrgeiz und mein Selbstbewußtsein. Und natürlich auch um meine Verpflichtung Thorsen und Johnson gegenüber. Aber wenn ich es nicht tue und nun noch jemand umgebracht wird - wie könnte man das rechtfertigen?"
Sie fragte nicht, wem gegenüber.
„Ich könnte dir bei der Durchsicht der Listen helfen", sagte sie leise.
Er drückte ihre Hand und lächelte traurig. „Am meisten hilfst du mir damit, daß du mir sagst, was ich tun soll."
„Wann hättest du dich je nach dem gerichtet, was ich sagte?" bemerkte sie mit leisem Spott. „Du gehst deinen eigenen Weg, und das weißt du auch ganz genau."
Er grinste. „Aber du hilfst mir", versicherte er ihr. „Du hilfst mir, Klarheit in meine Gedanken zu bringen."
„Edward, ich meine, im Augenblick solltest du nichts tun. Sowohl Thorsen als auch Johnson sind in diese Sache verwickelt. Wenn du jetzt zu Broughton gehst, oder auch nur zu Pauley, und ihnen sagst, was du herausgefunden hast und welchen Verdacht du hast, werden sie dich bestimmt fragen, wer dich dazu ermächtigt hat."
„Ich könnte Thorsen und Johnson ohne weiteres heraushalten. Vergiß nicht den Brief, den ich vom Commissioner habe."
„Aber es würde trotzdem ein lästiges Hin und Her geben, oder? Broughton würde bestimmt vermuten, daß Thorsen dahintersteckt, er weiß, wie gut ihr euch kennt. Warum besprichst du die Sache nicht mit Ivar und Johnson, Edward? Das sind doch beides vernünftige Leute. Sag ihnen, was du vorhast. Vielleicht fällt ihnen etwas ein. Ich weiß, wieviel dir dieser Fall bedeutet."
„Ja, das tut er", sagte er und blickte zu Boden. „Von Tag zu Tag mehr. Hm, ich laß mir deinen Vorschlag noch ein bißchen durch den Kopf gehen. Vielleicht spreche ich morgen mit Thorsen und Johnson. Dann würde ich dich mittags nicht besuchen. Aber bestimmt am Abend, damit du erfährst, was dabei herausgekommen ist."
„Und verlier nicht die Beherrschung, Edward. Denk daran!"
„Wann hätte ich je die Beherrschung verloren?" fragte er. „Ich bin doch immer die Beherrschung selbst."
Sie lachten beide.
28
Rasieren tat er sich mit einem altmodischen Rasiermesser, das schon sein Vater benutzt hatte. In genau der gleichen Ausführung gab es noch ein zweites Messer, beide wunderschön und aus Schwedenstahl mit beinernen Griffen. Jeden Morgen nahm er abwechselnd das eine oder das andere aus dem abgenutzten, samtausgeschlagenen Etui und schliff es leicht an dem innen vom Knauf der Badezimmertür herabhängenden Lederriemen.
Als er sich an diesem Morgen mit der schönen Stahlklinge langsam und vorsichtig den Bart schabte, hörte er in den Nachrichten aus dem kleinen Transistorgerät im Schlafzimmer, daß Bernard Gilbert gestorben sei, ohne das Bewußtsein wiedererlangt zu haben. Delaneys Hand hielt nicht inne. Er beendete die Rasur, wischte den überflüssigen Schaum ab, rieb sich mit After-Shave-Lotion ein, bestäubte sich leicht mit Talkumpuder, zog seinen üblichen dunklen Anzug mit weißem Hemd und gestreifter Krawatte an und ging, wie es seine Gewohnheit war, in die Küche hinunter, um zu frühstücken. Vorher betrat er rasch sein Arbeitszimmer und machte sich eine Notiz: „Monica Gilbert einen Beileidsbrief schreiben."
Er frühstückte, erzählte Mary, wie es seiner Frau ging, und ging bald wieder in sein Arbeitszimmer.
Mit Bleistift entwarf er ein Beileidsschreiben für Mrs. Gilbert, das er, als er endlich mit seinem Entwurf zufrieden war, der zwar noch immer reichlich gestelzt klang, mit Tinte ins reine schrieb. Er klebte eine Briefmarke auf den Umschlag und legte den Brief sichtbar auf den Tisch, damit er ihn beim Weggehen nicht vergaß.
Inzwischen war es fast halb zehn. Er rief im Büro des Leichenbeschauers an und wurde sogleich mit Ferguson verbunden.
„Ich weiß", sagte der Arzt, „er ist tot. Ich hörte es, als ich eben zur Tür hereinkam."
„Nehmen Sie die Autopsie vor?"
„Ja. Irgendwann heute vormittag. Wahrscheinlich nicht vor elf oder halb zwölf."
„Kann ich Sie vorher noch einen Augenblick sprechen?"
„Ich kann hier unmöglich weg, Edward. Ich habe tausend Dinge zu tun."
„Ich komme zu Ihnen. Gegen elf. Ich muß Ihnen etwas zeigen. Es ist sehr wichtig."
„Also gut, Edward. Um elf."
Der Captain ging in die Küche, riß ein Papiertuch von der Rolle, zog ein Blatt Pergamentpapier aus der Packung und schnitt ein Stück Alu-Folie ab. Wieder im Arbeitszimmer, holte er das Ölfläschchen sowie den Eispickel aus der Schublade.
Er tränkte das Papiertuch vorsichtig
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