Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die erste Todsuende

Die erste Todsuende

Titel: Die erste Todsuende Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lawrence Sanders
Vom Netzwerk:
ein kleines Glas angewärmten portugiesischen Kognaks. Daniel und die Mortons unterhielten sich über Art deco, das gerade der letzte Schrei war. Celia wurde nach ihrer Meinung darüber gefragt, doch sie schüttelte den Kopf. „Ich habe keine Ahnung davon." Danach saß sie still da, das Kognakglas zwischen beiden Händen, mit nachdenklichen Augen. Sie besaß kein Talent für unverbindliches Geplauder. Man brauchte sich bloß über das schlechte Wetter zu beklagen, und sie brachte es fertig, so dachte er, einem eine Predigt über die Demut zu halten. Merkwürdige Frau. Was hatte Sam doch noch gesagt? „Man hat Angst vor ihr." Wie war er darauf gekommen? Es sei denn, er hätte ihr irritierendes Schweigen gemeint, ihr Sich-Entziehen - beides möglicherweise nichts anderes als Egoismus und schlechtes Benehmen.
    Plötzlich erhob sie sich, und zum erstenmal sah Blank deutlich ihren Körper. Wie er sich schon gedacht hatte, war sie groß, aber dabei dünner und härter, als er angenommen hatte. Ihre Haltung war gut, und sie bewegte sich mit sehniger Anmut; ihre Gesten waren sparsam und beherrscht.
    Sie sagte, sie müsse jetzt gehen, und schenkte Sam und Flo ein trübes Lächeln. Höflich dankte sie ihnen für ihre Gastfreundschaft. Flo holte ihren Mantel - einen Umhang aus schwerem Silberbrokat, schillernd wie die Jacke eines Stierkämpfers. Jetzt war Blank überzeugt, daß sie seit Samstagabend nicht mehr in ihrem Stadthaus an der East End Avenue gewesen war und letzte Nacht auch nicht geschlafen hatte.
    Sie ging zur Tür. Flo und Sam sahen ihn erwartungsvoll an.
    „Darf ich Sie nach Hause bringen?" fragte er.
    Nachdenklich sah sie ihn an.
    „Ja", sagte sie dann schließlich. „Sie dürfen."
    Die Mortons wechselten rasch einen triumphierenden Blick. In ihren nietenbesetzten Jeans warteten sie auf dem Flur, bis der Lift ihre Besucher entführte.
    Im Aufzug fragte Celia unerwartet: „Sie wohnen doch auch in diesem Haus, nicht wahr?"
    „Ja - im einundzwanzigsten Stock."
    „Dann gehen wir doch zu Ihnen."
    Zehn Minuten später war sie in seinem Schlafzimmer - lag der brokatene Umhang auf dem Boden, sie selbst auf seinem Bett, völlig bekleidet und fest eingeschlafen. Er hob den Umhang auf und hängte ihn weg, zog ihr die Schuhe aus und stellte sie fein säuberlich neben dem Bett auf. Dann schloß er leise die Tür und kehrte ins Wohnzimmer zurück, wo er sich in die Sonntagsausgabe der Times vertiefte und versuchte, nicht an die fremde Frau zu denken, die da auf seinem Bett schlief.
    Um halb fünf war er mit der Zeitungslektüre fertig und schaute zu ihr hinein. Das Gesicht nach oben lag sie auf den Kopfkissen, die Fülle ihrer schwarzen Haare fächerförmig ausgebreitet. Er holte eine leichte Wolldecke aus dem Schrank und deckte sie behutsam zu. Dann ging er in die Küche, um einen geschälten Apfel zu essen und eine Hefetablette zu schlucken.
    Dann saß er wieder in seinem Wohnzimmer und versuchte, sich ihre Züge ins Gedächtnis zu rufen und zu verstehen, warum ihr So-Sein ihn derart für sie eingenommen hatte. Daß sie so aussah wie eine Hexe, wie eine geheimnisvolle Zauberin, mochte an der Art liegen, wie sie ihr langes, glattes Haar trug, sowie an der Tatsache - das ging ihm plötzlich auf - , daß sie überhaupt keine Schminke benutzte: weder Puder noch Lippenstift, noch Augen-Make-up. Ihr Gesicht war nackt.
    Er hörte sie umhergehen. Die Badezimmertür wurde zugemacht, die Spülung rauschte. Er knipste die Lampen an. Als sie ins Wohnzimmer trat, bemerkte er, daß sie die Schuhe angezogen und sich gekämmt hatte.
    „Tragen Sie eigentlich nie Make-up?" frage er sie.
    Eine ganze Weile starrte sie ihn an.
    „Doch - manchmal färbe ich mir die Brustwarzen rot."
    Er bedachte sie mit einem sardonischen Lächeln. „Gilt das nicht für geschmacklos?"
    Sie begriff die schlüpfrige Anspielung augenblicklich. „Witzbold", sagte sie mit ihrer tonlosen Stimme. „Könnte ich wohl einen Wodka haben? Pur, aber mit viel Eis, bitte. Und einer Limonenscheibe, wenn Sie haben."
    Als er mit Gläsern desselben Getränks für sie beide zurückkam, hatte sie auf seinem Tobias Scarpa-Sofa Platz genommen und die Füße hochgezogen. Ihr Gesicht lag im sanften Licht der aufblasbaren Lampe von Marc Lepage. Ihm fiel sofort auf, daß ihre Müdigkeit verschwunden war; sie sah heiter aus. Doch schockartig bemerkte er etwas, was ihm zuvor nicht aufgefallen war: eine faustgroße blutunterlaufene Stelle an ihrem linken Bizeps, blauviolett und

Weitere Kostenlose Bücher