Die erste Todsuende
aggressiv.
Sie nahm ihm das Glas aus der Hand. Ihre Finger waren kühl, blutlos wie Plastik.
„Ihre Wohnung gefällt mir", sagte sie.
Gilda Blank hatte die meisten antiken Sachen mitgenommen, ferner die dickgepolsterten Möbel, die Samtvorhänge, die grobgenoppten Schafswollteppiche. Daniel war glücklich darüber, daß dies alles verschwand, denn die Wohnung hatte angefangen, ihn zu ersticken. Von dem vielen geschnitzten Holz und den schweren Stoffen hatte er sich erdrückt gefühlt: weiche Dinge, die ihn belasteten und ihn dann schlingengleich umstrickten.
Er hatte das nahezu leere Apartment streng modern eingerichtet; die meisten Möbel stammten von Knoll-International und bestanden aus Chrom und Glas, schwarzem Leder und Plastik, rostfreiem Stahl und weißer Emaille. Jetzt wirkte die Wohnung offen, luftig und hatte in ihrer Zartheit geradezu etwas Spinnenfeines. Das Mobiliar beschränkte er auf ein Minimum, so daß die Proportionen des Wohnraums gut zur Geltung kamen. Die mit den Spiegeln gepflasterte Wand war ein geballter Witz, doch sonst war der Raum sauber, präzise und erhebend wie eine Kunstgalerie.
„Ein Zimmer wie dies hier beweist, daß Sie keine Wurzeln brauchen", erklärte sie ihm. „Sie haben die Vergangenheit vernichtet, indem Sie sie einfach nicht zur Kenntnis nehmen. Die meisten Menschen haben das Bedürfnis nach Geschichte, müssen in einer Umgebung leben, die sie ständig an vergangene Generationen erinnert. Sie schöpfen Trost und Bestätigung daraus, daß sie sich als Teil dessen empfinden, was war, ist und sein wird. Ich halte das für eine Schwäche, deren man sich schämen sollte. Es gehört Kraft dazu, sich loszureißen und freizumachen, die Vergangenheit zu vergessen und sich um die Zukunft nicht zu kümmern. Das spricht aus diesem Zimmer. Hier können Sie ganz auf sich selbst gestellt und durch sich sein, ohne alle Krücken. Der Raum ist frei von Gefühlsballast. Sind Sie frei von Gefühlsballast?"
„Oh", sagte er, „ich glaube nicht. Vielleicht frei von Emotionen. Ist Ihre Wohnung auch modern eingerichtet? Genauso streng wie diese?"
„Es ist keine Wohnung, sondern ein Stadthaus, und gehören tut es meinen Eltern."
„Ach? Ihre Eltern leben also noch?"
„Ja", sagte sie. „Sie leben noch."
„Man hat mir gesagt, Sie wohnen mit Ihrem Bruder zusammen?"
„Er heißt Anthony — Tony. Er ist zwanzig Jahre jünger als ich. Mutter hat ihn zu spät bekommen, und es war ihr schrecklich peinlich. Sie und mein Vater sehen es lieber, wenn er bei mir wohnt."
„Und wo leben Ihre Eltern?"
„Oh, mal hier, mal dort", sagte sie unbestimmt. „Eines an diesem Zimmer allerdings gefällt mir nicht."
„Und was ist das?"
Sie wies auf einen schweren, gußeisernen Kerzenleuchter mit zwölf verrenkten Armen, auf denen je eine weiße Kerze steckte.
„Unangezündete Kerzen mag ich nicht", sagte sie wieder ohne jede Modulation in der Stimme. „Sie kommen mir genauso verlogen vor wie künstliche Blumen und Tapeten, die Ziegelsteine vortäuschen sollen."
„Das läßt sich leicht beheben", sagte er, stand auf und zündete die Kerzen an.
„Ja", sagte sie. „So ist es besser."
„Wir werden die Kerzen in Abständen ausmachen. Dann sind sie verschieden lang. Ich bin froh, daß Sie tropffreie Kerzen haben. Ich mag Kerzen zwar gern, aber Wachsrückstände kann ich nicht ausstehen.
„Erinnerungen an verflossene Freuden?"
„So etwas Ähnliches. Sie erinnern mich zu sehr an schlechte italienische Restaurants mit Kerzen in leeren Chianti-Flaschen und zuviel Knoblauch in der Sauce. Ich hasse alles Unechte - und ausgestopfte BHs."
„Meine Frau..." setzte er an, um dann erklärend hinzuzufügen, „meine geschiedene Frau trug ausgestopfte BHs, und das Komische daran war, daß sie das gar nicht nötig hatte. Sie war dort durchaus wohlgepolstert. Ist es noch."
„Erzählen Sie mir von ihr."
„Von Gilda? Eine sehr nette Frau. Wir stammen beide aus Indiana und lernten uns an der Universität kennen. Sie gehörte zum Jahrgang nach mir. Ab und an gingen wir zusammen aus. Nichts Ernstes. In New York trafen wir uns dann wieder, und diesmal wurde es ernst."
„Wie war sie? Körperlich, meine ich."
„Sie war groß und mußte immer aufpassen, daß sie nicht zu dick wurde. Sie aß schrecklich gern; ihre Mutter ist ein Faß. Gilda ist blond und das, was man eine hübsche Frau nennt. Eine gute Sportlerin. Schwimmen, Tennis, Golf, Skilaufen - all das. Rührig bei Wohltätigkeitsveranstaltungen. Sie
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