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Die erste Todsuende

Die erste Todsuende

Titel: Die erste Todsuende Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lawrence Sanders
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gewesen, welche die ganze Nacht gedauert hatte, und nicht erst nach Hause gegangen, um sich umzuziehen? In dieser Annahme bestärkte ihn noch der Anblick ihrer seidenen Abendschuhe.
    Ihr Haar war so schwarz, daß es fast violett schimmerte. Es war in der Mitte gescheitelt und fiel ihr glatt und ohne jede Welle über die Schultern, was ihrem schmalen Gesicht etwas Hexenhaftes verlieh, ein Eindruck, den ihre langen schlanken Hände mit den stilettartig zugefeilten Fingernägeln noch verstärkten.
    Ihre nackten Arme, Schultern und der Ansatz ihrer kleinen Brüste, die des tief ausgeschnittenen Kleides wegen sichtbar waren: Alles schimmerte vor dem roten Samt. Ihre Haut hatte eine eigentümlich durchsichtige Nacktheit. Vor allem die Arme waren auffallend sinnenhaft-körperlich: glatt, unbehaart, scheinbar ohne Knochen, wie Fühler: Arme, wie aus Tuben gedrückt.
    Zu schätzen, wie groß sie war oder was für eine Figur sie hatte, war schwierig, solange sie zusammengekauert im Sessel saß. Blank hielt sie jedoch für groß - mindestens einsfünfundsiebzig, wenn nicht noch darüber, mit einer schönen Taille, schmalen Hüften und festen Schenkeln. Aber im Moment war das alles unwichtig; ihr Gesicht verzauberte ihn, ihre Blicke senkten sich in die seinen.
    Sie hatte graue Augen - oder waren sie hellblau? Die dünnen Brauen waren geschwungen - oder doch gerade? Ihre Nase war - was? Eine ägyptische Nase? Eine Nase wie von einem Sarkophag oder einem Basrelief? Und diese leicht geöffneten Lippen - waren sie üppig und trocken, oder feucht und schmal? Das lange Kinn, wie die Spitze eines Seidenpumps - war das nun bezaubernd oder vielleicht allzu maskulin? Schön war sie nicht. Etwas, das mehr war als Schönheit. Er mußte sich Zeit lassen, dem auf den Grund zu gehen.
    Er hatte den Eindruck, daß ihr Gesicht und ihr Körper zu dieser Uhrzeit - Mittag an einem strahlenden Sonntag und sie in deplaciert wirkender großen Abendaufmachung - grau waren vor Müdigkeit. Ihre Haltung hatte etwas Schlaffes, ihre Haut war bleich, und unter den Augen lag eine Andeutung von Schatten. Ein Hauch von Ausschweifung haftete ihr an, und daß ihre Stimme nicht modulierte, rührte daher, daß ihre Sinne bis zur Gefühllosigkeit gepeinigt waren, ihre Leidenschaften ausgebrannt.

    Florence und Samuel überschütteten sie mit heftigen Angriffen auf ihren Kommentar zu der Losung „Schwarz ist schön", und Daniel beobachtete, wie sie auf diese Angriffe reagierte. Er erkannte sofort, daß sie die Gabe besaß, völlig ruhig und gelassen zu bleiben: nichts da von Sich-Winden, oder Hin- und Hergerutsche, kein verlegenes Herumgespiele mit dem Armband, kein Zurückstreichen des Haars oder Zupfen am Ohr. Still und gesammelt saß sie da, und unversehens ging Daniel auf, daß sie ihren Kritikern überhaupt nicht zuhörte. Sie hatte sich ihnen allen entzogen.
    Sie war nicht da, doch hing sie, wie er annahm, auch keinen Tagträumen nach. Sie ließ sich auch nicht treiben, sondern hatte sich in sich selbst zurückgezogen und versank immer tiefer in ihre eigenen Gedanken, ihre Sehnsüchte und Hoffnungen. Ihre Augen, die so unergründlich waren wie Wasser, wandte sie zwar nicht von ihnen, und doch hatte er das bestimmte Gefühl, daß die Mortons ihr völlig gleichgültig waren. Es verlangte ihn, in ihrem Lande zu sein, und sei es nur besuchsweise, sich dort umzutun und zu sehen, was es dort gab.
    Flo hielt inne und erwartete eine Antwort auf eine Frage. Aber es gab keine Antwort. Celia Montfort bedachte sie nur mit einem etwas glasigen Blick - ihr Gesicht war völlig ausdruckslos. Gerettet wurde diese peinliche Situation nur durch Blanche, die einen dreistöckigen Servierwagen hereinschob, der mit warmen und kalten Gerichten, einem Krug „Bloody Mary" und einer eiskalten Flasche mit moussierendem Rosé beladen war.
    Das Essen fiel weniger aus dem Rahmen, als Blanche gehofft hatte, aber immerhin waren die pochierten Eier mit Sherry gewürzt, zum Schinken gab es Burgundersauce, und die Walnuß-Waffeln waren mit leicht nach Rum schmeckendem Ahorn-Sirup getränkt.
    „Greift zu!" forderte Flo auf.
    „Laßt es euch schmecken!" forderte Sam auf.
    Daniel aß ein einziges pochiertes Ei, einen Streifen Speck und trank ein Glas Wein. Dann lehnte er sich mit einer Handvoll eisgekühlter Concord-Trauben zurück, lauschte dem Geplauder der Mortons und sah zu, wie Celia Montfort stumm und verbissen enorme Mengen des aufgetischten Essens verzehrte.
    Hinterher tranken sie jeder

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