Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die erste Todsuende

Die erste Todsuende

Titel: Die erste Todsuende Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lawrence Sanders
Vom Netzwerk:
den Papagei ein, um ein Glas zu trinken. Na und?
    „Vielleicht hat er Lunte gerochen", meinte Blankensphip. „Vielleicht weiß er, daß unsere Lockvögel jede Nacht ausschwärmen und daß er beschattet wird."
    „Unmöglich", knurrte Fernandez wütend. „Er sieht meine Leute nicht einmal. Was ihn betrifft, so gibt es uns überhaupt nicht."
    „Ich wüßte wirklich nicht, was wir sonst noch tun könnten", gestand MacDonald. „Wir haben alles geprüft: Geburtsurkunde, Zeugnisse, Paß, Bankguthaben - alles. Ihr habt die Unterlagen gesehen. Der Mann liegt vor uns auf dem Tisch, splitterfasernackt. Sicher, er ist vielleicht ein Psychopath, meinetwegen jemand, der durchaus einen Mord begehen könnte. Er ist ein eiskalter, gerissener Hund. Aber schleppt ihn vor Gericht - was dann? Wir kämen nie damit durch. So seh ich die Sache jedenfalls."
    „Bleibt dran!" sagte Captain Edward X. Delaney.
    Am Tag vor Heiligabend verlangsamte sich alles. Das war nur natürlich; die Männer wollten daheim bei ihren Familien sein. Der Dienst in den einzelnen Abteilungen wurde auf ein Minimum reduziert (und vornehmlich von Junggesellen und Freiwilligen versehen), die Leute wurden früh nach Hause geschickt. Delaney verbrachte den ruhigen Nachmittag in seinem Arbeitszimmer und las alle Unterlagen noch einmal durch, trank ab und zu von dem wunderbaren Kognak, den ihm Alinski geschickt hatte. Er mußte sich bei dem Stellvertretenden Bürgermeister noch dafür bedanken.
    Während er las, wuchs in ihm die Überzeugung, daß Danny-Boy durch etwas erledigt werden würde, das im Charakter dieses Mannes angelegt war und nicht durch die Tüchtigkeit der Polizei, durch die Entdeckung eines neuen Anhaltspunktes oder die unverhoffte Enthüllung irgendeiner Freundin oder Geliebten.
    Wer war Daniel G. Blank? Wer war er? MacDonald hatte gesagt, in diesen Unterlagen liege er splitternackt vor ihnen auf dem Tisch. Nein, dachte Delaney, was sie da hatten, waren nur die äußeren Fakten seines Lebens. Kein Mensch jedoch ist einfach nur die Summe aller über ihn existierenden offiziellen Papiere, der Aussagen seiner Freunde und Bekannten und der Daten seines „Tagesablaufs". Die wesentliche Frage blieb: Wer war Daniel G. Blank?
    Delaney war fasziniert von ihm, weil er zwei verschiedene Menschen in sich zu vereinigen schien. Er war ein kalter, einsamer Junge gewesen, der offenbar ohne Nestwärme aufgewachsen war. Keine Unterlagen über irgendwelche Jugendkriminalität. Er war still gewesen, hatte Steine gesammelt und bis zum Eintritt ins College kein besonderes Interesse an Mädchen gezeigt. Dann hatte er sich geweigert, an der Beerdigung seiner Eltern teilzunehmen. Das schien Delaney aufschlußreich. Wie konnte ein Mensch, wie jung auch immer, so etwas fertigbringen? Das verriet eine solche Abgebrühtheit und Kaltschäuzigkeit, daß es einem Angst machte.

    Dann diese Ehe - wie hatte Lipsky die Frau noch bezeichnet? Eine üppige, tolle Blondine - die Scheidung, die Freundin mit dem Knabenkörper und möglicherweise sogar der Knabe selbst, Tony. Und dazu noch die sterile Wohnung mit den vielen Spiegeln, die seidene Damenunterwäsche und das parfümierte Klopapier. Und, wie es in einem der auffallend gut geschriebenen Berichte MacDonalds hieß: die Riesensprünge auf der Karriere-Leiter.

    Delaney nahm sich noch einmal den Bericht vor über das Gespräch, das einer von MacDonalds Leuten mit einem Mann namens Robert White geführt hatte, der bei Javis-Bircham Blanks unmittelbarer Vorgesetzter gewesen war und der von Blank mit allen Mitteln rausgeboxt worden war.
    „Begabt. Viel Phantasie. Zuviel vielleicht. Doch er meistert seine Aufgabe, das muß man ihm lassen. Aber kein Tropfen Blut, Sie verstehen? Kein Tropfen warmes Blut fließt in ihm."
    Captain Delaney starrte zur Decke hinauf. „Kein Tropfen warmes Blut fließt in ihm." Was sollte das heißen. Wer war Daniel G. Blank? So vielschichtig... So abstoßend und faszinierend. Mut - ohne Zweifel; er stieg auf Berge und mordete. Warmherzig? Selbstverständlich. Er schritt ein, wenn jemand seinen Hund prügelte - und bewahrte sentimentale Erinnerungsstücke auf von den Männern, die er ermordet hatte. Begabt und phantasievoll? Jedenfalls hatte sein früherer Chef das behauptet. So begabt und phantasievoll, daß er mit einer dreißigjährigen Frau schlief und es gleichzeitig mit ihrem zwölfjährigen Bruder trieb, doch davon dürfte Bob White wohl doch keine Ahnung gehabt haben.
    Wer war Dan?
    Captain Delaney

Weitere Kostenlose Bücher