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Die erste Todsuende

Die erste Todsuende

Titel: Die erste Todsuende Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lawrence Sanders
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und die Kacheln feucht. Er seifte sich mit einer hautschonenden Seife aus Kokosnußbutter ein, die seine Haut geschmeidig machte. Nachdem er mit kühlem Wasser nachgeduscht und die Dusche abgestellt hatte, rieb er sich mit einer Körperlotion ein, von der behauptet wurde, sie stelle „den natürlichen Fettgehalt der Haut nach dem Baden wieder her" und „glättet, ölt und macht die Epidermis wieder geschmeidig".
    Seine Aufwartefrau, die zweimal wöchentlich kam, war am Nachmittag dagewesen. Sein Bett hatte ein frisches Laken, Bettdecke und Kopfkissen waren frisch bezogen. Die Bettdecke und die Satin-Tagesdecke waren zurückgeschlagen. Zwar war es noch nicht einmal elf, doch er war angenehm müde und wollte schlafen.
    Nackt ging er in der Wohnung umher, ließ Wasser und winzige Öltröpfchen an seinem Körper trocknen, zog Schubladen auf, überzeugte sich davon, daß die Fensterriegel vorgelegt und die Türen abgeschlossen waren, und ging dann noch einmal ins Badezimmer, um eine leichte Schlaftablette zu schlucken. Er wußte zwar, daß er sie eigentlich nicht brauchte, doch wollte er im Bett nicht denken.
    Das längliche Wohnzimmer wurde schwach von dem aus dem Schlafzimmer dringenden Licht erhellt. Das Ende dieses Wohnzimmers wies nach Norden und hatte Vorhänge vor den riesigen Fenstern, die sich nicht öffnen ließen. Die Ostwand, die das angrenzende Schlafzimmer abtrennte, war fast acht Meter lang und zwei Meter fünfundsiebzig hoch.
    Diese große weißgetünchte Fläche hatte Daniel Blank mit Spiegeln dekoriert. Bis in etwa Bauchhöhe war Platz gelassen für Couch, Stühle, Seitentischchen, Lampen, ein Bücherregal und eine fahrbare Stereoanlage, doch oberhalb dieser Linie war die Wand über und über mit Spiegeln bedeckt.
    Nicht etwa ein Spiegel oder zueinander passende kleinere Spiegel, sondern über fünfzig grundverschiedene Spiegel schmückten diese Wand; winzige Spiegel und große, flache und schiefversetzte, normale Spiegel und Vergrößerungsspiegel, runde und viereckige, ovale und rechteckige. Die Wand bebte förmlich von silbrigen Reflexen.
    Jeder Spiegel war gerahmt und hing für sich; Holzrahmen und Metallrahmen, bemalte und nackte, einfache und verzierte, moderne und verschnörkelte Rokokorahmen, aus geschnitztem Holz und nichtssagendem Plastik. Einige von ihnen waren antik und bereits blind; einer bestand aus einer acht mal zehn Zentimeter großen polierten Metallplatte: Er war einer jener Spiegel, die während des Zweiten Weltkriegs zur Ausrüstung der Marineinfanterie gehört hatten.
    Alle diese Spiegel waren nun nicht nach einem ausgeklügelten Muster an dieser unruhigen Wand befestigt worden, sondern der Reihe nach, wie er sie gekauft hatte. Doch irgendwie, durch puren Zufall, hatten Rahmen und Spiegelflächen, als die Wand sich füllte, sich zu einer asymmetrischen Komposition zusammengefügt. Das hier war seine Stadt, gespannt und lauernd.
    Als er barfuß und nackt, wohlriechend und eingeölt ins Schlafzimmer zurückging, betrachtete Daniel Blank seine Wand mit den vielen Spiegeln darauf. Er selbst sah aus wie auseinandergehackt und in Einzelteile zerlegt. Wenn er sich bewegte, sprang sein Bild von Glas zu Glas. Dort eine Nase. Hier ein Ohr. Knie. Brust. Nabel. Fuß. Ellbogen. Alles huschte, hielt inne und verschwand, um in einem anderen Spiegel zu etwas Neuem geboren zu werden.
    Fasziniert blieb er stehen. Doch selbst wenn er ganz regungslos dastand, war er zerrissen und zerhackt, sein ganzer Körper von silberhinterlegtem Glas, das diesen oder jenen Neigungswinkel hatte, in viele Einzelteile aufgeteilt. Er berührte sich und sah zwanzig Hände sich bewegen, hundert Finger tasten: Es war ein Wunder, und er war entzückt.

    Er ging ins Schlafzimmer, stellte den Thermostat der Klimaanlage auf die richtige Temperatur ein und schlüpfte ins Bett. Im Einschlafen noch sah er im dämmerigen Schimmer der Nacht jene Myriaden von Augen, die ihn in gerahmten Einzelteilen widerspiegelten. Die Hüfte im Stahl, die Schulter in geschnitzter Eiche, der Hals in Plastik, das Knie in Kupfer, sein Glied im wurmstichigen Walnußrahmen. Kunst.

3
    Sie war eine der ersten Frauen in Manhattan gewesen, die den Büstenhalter wegließen. Er war einer der ersten Männer in Manhattan gewesen, die einen Schlips als Gürtel trugen. Sie war eine der ersten, die einen Henkelmann als Handtasche benutzte, er einer der ersten, die Tennisschuhe ohne Socken trugen. Die ersten! Sie waren von der Sucht nach dem Neuen geradezu

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