Die ersten und die letzten Arbeiten des Herkules
zu klappern!
Keine Haltung, dachte Poirot, keine weibliche Grazie. Seine alternde Seele empörte sich gegen das Drängen und Hasten der modernen Welt. All diese jungen Frauen, die ihn umgaben – einander so ähnlich, so ohne Charme, so bar jeder verführerischen Weiblichkeit! Er zog üppigere Reize vor. Ah! Eine femme du monde zu sehen, chic, sympathisch, spirituelle – eine Frau mit weichen Rundungen, raffiniert angezogen. Einst hatte es solche Frauen gegeben. Aber jetzt – jetzt…
Der Zug blieb bei einer Haltestelle stehen, Menschen strömten hinaus und drängten Poirot gegen die Stricknadelspitzen, strömten herein und pressten ihn noch mehr wie eine Sardine gegen seine Mitreisenden. Der Zug fuhr mit einem Ruck wieder an. Poirot wurde gegen eine dicke Frau mit unförmigen Paketen geschleudert, sagte pardon und schnellte gegen einen knochigen Mann, dessen Aktentasche ihn ins Kreuz stieß. Er sagte wieder pardon. Er fühlte, dass sein Schnurrbart schlaff und strähnig wurde. Quel enfer! Zum Glück war die nächste Station die seine!
Es war auch die Station für ungefähr hundertfünfzig andere Leute, da es Piccadilly Circus war. Sie ergossen sich wie eine große Flut auf den Bahnsteig. Gleich darauf stand Poirot eingekeilt auf einer Rolltreppe und wurde zur Erdoberfläche emporgetragen.
Empor aus den höllischen Regionen, dachte Poirot… Wie weh tut ein Handkoffer, der einem auf einer aufsteigenden Rolltreppe von hinten in die Knie gebohrt wird.
In diesem Augenblick rief eine Stimme seinen Namen. Erschrocken hob er den Blick. Auf der gegenüberliegenden Rolltreppe, der absteigenden, erblickten seine ungläubigen Augen eine Vision aus der Vergangenheit. Eine Frau mit üppigen Formen, ihr reiches, hennarotes Haar von einem winzigen Strohhütchen gekrönt, an dem eine ganze Kette bunt gefiederter Vögel hing. Ein exotisch anmutender Pelz fiel von ihren Schultern.
Ihr dunkelroter Mund öffnete sich weit, ihre volle Stimme mit dem ausländischen Akzent widerhallte von den Gewölben. Sie hatte gute Lungen.
»Er ist es!«, schrie sie. »Er ist es wirklich! Mon cher Hercule Poirot! Wir müssen uns wiedersehen! Ich bestehe darauf!«
Aber selbst das Schicksal ist nicht unerbittlicher als zwei Rolltreppen, die sich in entgegengesetzter Richtung bewegen.
Stetig und erbarmungslos wurden Hercule Poirot hinauf und die Gräfin Vera Rossakoff hinunter befördert. Er verrenkte sich seitwärts, beugte sich über das Geländer und rief verzweifelt:
» Chère Madame – wo kann ich Sie erreichen?«
Ihre Antwort drang gedämpft aus der Tiefe zu ihm empor – sie war unerwartet, klang aber im Augenblick sonderbar zutreffend.
»In der Hölle…«
Hercule Poirot blinzelte – und blinzelte nochmals. Plötzlich schwankte er. Ohne es zu realisieren, war er oben angelangt und hatte es versäumt, richtig abzusteigen. Die Menschen um ihn herum zerstreuten sich. Ein wenig auf der Seite drängte sich eine dichte Menge auf die abwärts gehende Rolltreppe. Sollte er sich ihnen anschließen? Zweifellos war das Herumfahren in den Eingeweiden der Zeit um diese Zeit des größten Andranges die Hölle. Wenn sie das gemeint hatte, so konnte er ihr nur von Herzen beistimmen… Resolut schritt Poirot hinüber, zwängte sich in die hinuntersteigende Menge und wurde in die Tiefe zurückbefördert. Am Fuß der Treppe – keine Spur der Gräfin. Poirot blieb die Wahl, blauen, gelben, oder grünen Lichtern zu folgen.
Bevorzugte die Gräfin die Waterloo- oder die Piccadilly-Linie? Poirot suchte nacheinander jeden Bahnsteig ab. Er wurde von den ein- und aussteigenden Menschenmassen hin und her gezerrt, aber nirgends sah er die auffallende, typisch russische Erscheinung der Gräfin Vera Rossakoff. Müde, abgehetzt und enttäuscht fuhr Poirot nochmals zur Oberfläche empor und trat in das Gewimmel von Piccadilly Circus. Trotzdem kam er freudig erregt nach Hause.
Es ist das Verhängnis kleiner, pedantischer Männer, für große, auffallende Frauen zu schwärmen. Poirot hatte sich nie von der fatalen Anziehungskraft befreien können, die die Gräfin auf ihn ausübte. Obwohl es an die zwanzig Jahre her war, seit er sie zum letzten Mal gesehen hatte, wirkte der Zauber noch. Ihre Aufmachung erinnerte zwar an den Sonnenuntergang eines Landschaftsmalers, und die Frau dahinter war völlig unsichtbar, aber für Hercule Poirot war sie noch immer der Inbegriff von Glanz und Verführung.
Der kleine Bourgeois war noch geblendet von der Aristokratin. Die
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