Die ersten und die letzten Arbeiten des Herkules
Jugend…
Er murmelte zu sich selbst:
»Der Apfelbaum, der Gesang, das Gold…«
Plötzlich war Hercule Poirot wieder er selbst – der Bann war gebrochen, er passte wieder in seine Lackschuhe und in seinen eleganten dunkelgrauen Anzug. Nicht sehr weit entfernt hatte er den Klang einer Glocke gehört. Er verstand diese Glocke. Es war ein Klang, der ihm von Kindheit an vertraut war.
Er machte sich auf den Weg und schritt flott die Klippen entlang. Nach ungefähr zehn Minuten kam ein Gebäude auf den Klippen in Sicht: Es war von einer hohen Mauer umgeben, in die ein großes, hölzernes, mit Nägeln beschlagenes Tor eingelassen war. Hercule Poirot kam an dieses Tor und pochte; es hatte einen großen eisernen Türklopfer. Dann zog er vorsichtig an einer rostigen Kette, und eine schrille Glocke klingelte auf der anderen Seite des Tores. Ein Teil der Vertäfelung wurde zur Seite geschoben und ließ ein Gesicht sehen. Es war ein misstrauisches Gesicht, von weißem, gestärktem Linnen umrahmt. Auf der Oberlippe war deutlich ein Schnurrbart zu erkennen, aber die Stimme war die einer Frau, die Hercule Poirot eine femme formidable nannte. Sie fragte nach seinem Anliegen.
»Ist dies das Kloster der heiligen Maria und aller Engel?«
Die Furcht einflößende Frau entgegnete scharf:
»Und was sollte es sonst sein?«
Hercule Poirot machte keinen Versuch, diese Frage zu beantworten.
»Ich möchte die Frau Oberin sprechen«, antwortete er dem Drachen.
Der Drachen war unwillig, aber schließlich gab er widerstrebend nach. Die Riegel wurden zurückgeschoben, die Tür geöffnet, und Hercule Poirot wurde in einen kleinen Raum geführt, der als Besuchszimmer des Klosters diente.
Bald darauf glitt eine Nonne herein; der Rosenkranz hing von ihrem Gürtel herab.
Hercule Poirot war von Geburt Katholik, und die Atmosphäre, in der er sich befand, war ihm vertraut.
»Verzeihen Sie die Störung, ma mère«, begann er, »aber ich glaube, Sie haben hier eine religieuse, die, ehe sie die Weihen empfing, Kate Casey hieß?«
Die Mutter Oberin senkte den Kopf und sagte:
»Das ist richtig. Als Nonne heißt sie Schwester Mary Ursula.«
»Es ist ein Unrecht geschehen, das wieder gutgemacht werden muss«, fuhr Hercule Poirot weiter. »Ich glaube, dass Schwester Mary Ursula mir dabei behilflich sein könnte. Sie hat vielleicht wertvolle Informationen.«
Die Oberin schüttelte den Kopf. Ihre Stimme war ruhig, ihr Gesicht unbewegt und abgeklärt.
»Schwester Mary Ursula kann Ihnen nicht helfen.«
»Aber ich versichere Sie – «
Er brach ab. Die Oberin sagte:
»Schwester Mary Ursula ist vor zwei Monaten gestorben.«
In der Bar von Jimmy Donovans Hotel saß Poirot unbequem an der Wand. Das Hotel entsprach nicht seiner Vorstellung von einem guten Hotel. Die Sprungfedern in seinem Bett waren zerbrochen, ebenso zwei Fensterscheiben in seinem Zimmer – wodurch jene Nachtluft eindrang, der Hercule Poirot so misstraute. Die Wärmeflasche, die man ihm gebracht hatte, war lauwarm gewesen, und die Mahlzeit, die er eingenommen hatte, erzeugte sonderbare und schmerzhafte Krämpfe in seinem Magen.
In der Bar saßen fünf Männer, die alle politisierten. Zum größten Teil konnte Hercule Poirot nicht verstehen, was sie sagten. Jedenfalls war es ihm gleichgültig. Plötzlich saß einer der Männer neben ihm. Er hob sich etwas von den anderen ab.
Er sprach mit großer Würde:
»Ich sage Ihnen, Sir, ich sage Ihnen – ›Pegeens Pr i de‹ hat nicht die geringste Chance, nicht die geringste… Er wird als guter Letzter einlaufen – als guter Letzter. Befolgen Sie meinen Tipp… Jedermann sollte meinen Tipp befolgen. Wissen Sie, wer ich bin, Sir? Wissen Sie es? Atlas – ich bin Atlas von der Dublin Sun… Ich habe die ganze Saison die Sieger getippt… Habe ich nicht auf ›Larry’s Girl‹ getippt? Fünfundzwanzig zu eins – fünfundzwanzig zu eins. Folgt Atlas, und ihr könnt nicht fehlgehen.«
Hercule Poirot blickte ihn mit sonderbarer Scheu an. Er murmelte mit bebender Stimme:
»Mon Dieu, das ist ein Omen!«
Es war einige Stunden später. Der Mond blickte dann und wann zwischen den Wolken hervor. Poirot und sein neuer Freund waren einige Meilen gewandert. Poirot hinkte. Der Gedanke schoss ihm durch den Kopf, dass es am Ende doch noch andere, für Landpartien besser geeignete Schuhe als Lacklederschuhe gab. George hatte tatsächlich so etwas angedeutet.
»Ein Paar gute Laufschuhe«, hatte er gesagt.
Hercule Poirot hatte der Gedanke
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