Die Erzaehlungen 1900-1906
verfügte sich auf die andere Seite der Gasse hinüber, lehnte sich an den Prellstein und verfolgte die Tätigkeit des Schlossers mit großer Aufmerksamkeit. Dieser hatte nun seine Leiter aufgerichtet und gesichert, stieg hinauf und begann über der Haustüre am Mörtel herumzukratzen, um das
alte Wirtsschild hinwegzunehmen. Seine Bemühungen erfüllten den Exfabri-
kanten mit Spannung und auch mit Wehmut, indem er der vielen unter die-
sem Wahrzeichen genossenen Schoppen und Schnäpse und der früheren Zeiten
überhaupt gedachte. Es bereitete ihm keine kleine Freude, daß der schmiede-
eiserne Schildarm so fest in der Wand saß und daß der Schlossergesell sich
so damit abmühen mußte, ihn herunterzubringen. Es war doch unter dem ar-
men alten Schilde oft heillos munter zugegangen! Als der Schlosser zu fluchen begann, schmunzelte der Alte, und als jener wieder daran zog und bog und
wand und zerrte, in Schweiß geriet und fast von der Leiter stürzte, empfand
der Zuschauer eine nicht geringe Genugtuung. Da ging der Geselle fort und
kam nach einer Viertelstunde mit einer Eisensäge wieder. Hürlin sah wohl,
daß es nun um den ehrwürdigen Zierat geschehen sei. Die Säge pfiff klingend
in dem guten Eisen, und nach wenigen Augenblicken bog sich der eiserne Arm
klagend ein wenig abwärts und fiel gleich darauf klingend und rasselnd aufs
Pflaster.
Da kam Hürlin herüber.
Du, Schlosser , bat er demütig,
gib mir das
Ding! ’s hat ja keinen Wert mehr.
Warum auch? Wer bist du denn?
schnauzte der Bursch.
Ich bin doch von der gleichen Religion , flehte Hürlin,
mein Alter war
Schlosser, und ich bin auch einer gewesen. Gelt, gib’s her!
Der Geselle hatte indessen das Schild aufgehoben und betrachtet.
Der Arm ist noch gut , entschied er,
das war zu seiner Zeit keine schlech-
te Arbeit. Aber wenn du das Blechzeug willst, das hat keinen Wert mehr.
Er riß den grünbemalten blechernen Blätterkranz, in welchem mit kupferig
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gewordenen und verbeulten Strahlen die goldene Sonne hing, herunter und gab
ihn her. Der Alte bedankte sich und machte sich mit seiner Beute davon, um
sie weiter oben im dicken Holdergebüsch vor fremder Habgier und Schaulust
zu verbergen. So verbirgt nach verlorener Schlacht ein Paladin die Insignien der Herrschaft, um sie für bessere Tage und neue Glorien zu retten.
Wenige Tage darauf fand ohne viel Sang und Klang die Einweihung des
dürftig hergerichteten neuen Armenhauses statt. Es waren ein paar Betten
beschafft worden, der übrige Haushalt stammte noch von der Wirtsgant her,
außerdem hatte ein Gönner in jedes der drei Schlafstüblein einen von gemal-
ten Blumengewinden umgebenen Bibelspruch auf Pappdeckel gestiftet. Zu der
ausgeschriebenen Hausvaterstelle hatten sich nicht viele Bewerber gemeldet,
und die Wahl war sogleich auf Herrn Andreas Sauberle gefallen, einen verwit-
weten Wollstricker, der seinen Strickstuhl mitbrachte und sein Gewerbe weiter betrieb, denn die Stelle reichte knapp zum Leben aus, und er hatte keine Lust, auf seine alten Tage einmal selber ein Sonnenbruder zu werden.
Als der alte Hürlin seine Stube angewiesen bekam, unterzog er sie sogleich
einer genauen Besichtigung. Er fand ein gegen das Höflein gehendes Fenster,
zwei Türen, ein Bett, eine Truhe, zwei Stühle, einen Nachttopf, einen Kehr-
besen und einen Staubwischlappen vor, ferner ein mit Wachstuch bezogenes
Eckbrett, auf welchem ein Wasserglas, ein blechernes Waschbecken, eine Klei-
derbürste und ein Neues Testament lagen und standen. Er befühlte das solide
Bettzeug, probierte die Bürste an seinem Hut, hielt Glas und Becken prüfend
gegen das Tageslicht, setzte sich versuchsweise auf beide Stühle und fand, es sei alles befriedigend und in Ordnung. Nur der stattliche Wandspruch mit den Blumen wurde von ihm mißbilligt. Er sah ihn eine Weile höhnisch an, las die
Worte:
Kindlein, liebet euch untereinander!
und schüttelte unzufrieden den
struppigen Kopf. Dann riß er das Ding herunter und hängte mit vieler Sorg-
falt an dessen Stelle das alte Sonnenschild auf, das er als einziges Wertstück in die neue Wohnung mitgebracht hatte. Aber da kam gerade der Hausvater
wieder herein und gebot ihm scheltend, den Spruch wieder an seinen Platz
zu hängen. Die Sonne wollte er mitnehmen und wegwerfen, aber Karl Hürlin
klammerte sich ingrimmig daran, trotzte zeternd auf sein Eigentumsrecht und
verbarg nachher die Trophäe schimpfend unter der Bettstatt.
Das Leben, das
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