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Die Erzaehlungen 1900-1906

Die Erzaehlungen 1900-1906

Titel: Die Erzaehlungen 1900-1906 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hermann Hesse
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zugenickten
    Servus, Kunde!
    begrüßt oder schweigend verachtet.
    Der Fremdling, der die alten Männlein so hocken sah und sich in der näch-
    sten Gasse über das seltsame Häuflein grauer Bärenhäuter erkundigte, konn-
    te von jedem Kinde erfahren, daß dieses die Sonnenbrüder seien, und man-
    cher schaute dann noch einmal zurück, sah die müde Schar träg in die Sonne
    blinzeln und wunderte sich, woher ihr wohl ein so hoher, wohllautender und
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    dichterischer Name gekommen sei. Das Gestirn aber, nach welchem die Son-
    nenbrüder genannt wurden, stand längst an keinem Himmel mehr, sondern
    war nur der Schildname eines ärmlichen und schon vor manchen Jahren ein-
    gegangenen Wirtshauses gewesen, dessen Schild und Glanz dahin waren, denn
    das Haus diente neuerdings als Spittel, das heißt als städtisches Armenasyl, und beherbergte freilich manche Gäste, die das Abendrot der vom Schild genommenen Sonne noch erlebt und sich hinter dem Schenktisch derselben die
    Anwartschaft auf ihre Bevormundung und jetzige Unterkunft erschöppelt hat-
    ten.
    Das Häuschen stand, als vorletztes der steilen Gasse und der Stadt, zunächst jenem sonnigen Straßenrand, bot ein windschiefes und ermüdetes Ansehen,
    als mache das Aufrechtstehen ihm viele Beschwerde, und ließ sich nichts mehr davon anmerken, wieviel Lust und Gläserklang, Witz und Gelächter und flotte
    Freinächte es erlebt hatte, die fröhlichen Raufereien und Messergeschichten
    gar nicht zu rechnen. Seit der alte rosenrote Verputz der Vorderseite vollends erblaßt und in rissigen Feldern abgeblättert war, entsprach die alte Lotterfalle in ihrem Äußeren vollkommen ihrer Bestimmung, was bei städtischen Bauten
    unserer Zeit eine Seltenheit ist. Ehrlich und deutlich gab sie zu erkennen, daß sie ein Unterschlupf und Notdächlein für Schiffbrüchige und Zurückgebliebene war, das betrübliche Ende einer geringen Sackgasse, von wo aus keine Pläne
    und verborgenen Kräfte mehr ins Leben zurückstreben mögen.
    Von der Melancholie solcher Betrachtungen war im Kreis der Sonnenbrüder
    meistens nur wenig zu finden. Vielmehr lebten sie fast alle nach Menschenart ihre späten Tage hin, als ginge es noch immer aus dem Vollen, bliesen ihre
    kleinen Gezänke und Lustbarkeiten und Spielereien nach Kräften zu wichti-
    gen Angelegenheiten und Staatsaktionen auf und nahmen zwar nicht einan-
    der, aber doch jeder sich selber so ernst wie möglich. Ja, sie taten, als fange jetzt, da sie sich aus den geräuschvollen Gassen des tätigen Lebens beiseite gedrückt hatten, der Hallo erst recht an, und betrieben ihre jetzigen unbedeutenden Affären mit einer Wucht und Zähigkeit, welche sie in ihren früheren
    Betätigungen leider meist hatten vermissen lassen. Gleich manchem anderen
    Völklein glaubten sie, obwohl sie vom Spittelvater absolut monarchisch und
    als rechtlose Scheinexistenzen regiert wurden, eine kleine Republik zu sein, in welcher jeder freie Bürger den andern genau um Rang und Stellung ansah und
    emsig darauf bedacht war, ja nirgends um ein Haarbreit zu wenig ästimiert
    zu werden.
    Auch das hatten die Sonnenbrüder mit anderen Leuten gemein, daß sie
    die Mehrzahl ihrer Schicksale, Befriedigungen, Freuden und Schmerzen mehr
    in der Einbildung als in Wirklichkeit erlebten. Ein frivoler Mensch könnte
    ja überhaupt den Unterschied zwischen dem Dasein dieser Ausrangierten und
    Steckengebliebenen und demjenigen der tätigen Bürger als lediglich in der Ein-189
    bildung begründet hinstellen, indem diese wie jene ihre Geschäfte und Taten
    mit derselben Wichtigkeit verrichten und schließlich doch vor Gottes Augen
    so ein armer Spittelgast möglicherweise nicht schlechter dasteht als mancher große und geehrte Herr. Aber auch ohne so weit zu gehen, kann man wohl finden, daß für den behaglichen Zuschauer das Leben dieser Sonnenbrüder kein
    unwürdiger Gegenstand der Betrachtung sei.
    Je näher die Zeiten heranrücken, da das jetzt aufwachsende Geschlecht den
    Namen der ehemaligen Sonne und der Sonnenbrüder vergessen und seine Ar-
    men und Auswürflinge anders und in anderen Räumen versorgen wird, desto
    wünschenswerter wäre es, eine Geschichte des alten Hauses und seiner Gäste
    zu haben. Als chronistischer Beitrag zu einer solchen soll auf diesen Blättern einiges vom Leben der ersten Sonnenbrüder berichtet werden.
    In den Zeiten, da die heutigen Jungbürger von Gerbersau noch kurze Hosen
    oder gar noch Röckchen trugen und da über der Haustüre des

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