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Die Erzaehlungen 1900-1906

Die Erzaehlungen 1900-1906

Titel: Die Erzaehlungen 1900-1906 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hermann Hesse
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trocken und
    abgezehrt war. Seine Mutter streichelte ihn, nickte mir zu und ging wieder
    aus der Stube; so stand ich allein an seinem kleinen hohen Bett und sah ihn
    an, und eine Zeitlang sagten wir beide kein Wort.
    So, bist du’s denn noch?
    sagte dann der Brosi.
    Und ich:
    ja, und du auch noch?
    Und er:
    Hat dich deine Mutter geschickt?
    Ich nickte.
    Er war müde und ließ jetzt den Kopf wieder auf das Kissen fallen. Ich wußte
    gar nichts zu sagen, nagte an meiner Mützentroddel und sah ihn nur immer
    an und er mich, bis er lächelte und zum Scherz die Augen schloß.
    Da schob er sich ein wenig auf die Seite, und wie er es tat, sah ich plötzlich unter den Hemdknöpfen durch den Ritz etwas Rotes schimmern, das war die
    große Narbe auf seiner Schulter, und als ich die gesehen hatte, mußte ich auf einmal heulen.
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    Ja, was hast du denn?
    fragte er gleich.
    Ich konnte keine Antwort geben, weinte weiter und wischte mir die Backen
    mit der rauhen Mütze ab, bis es weh tat.
    Sag’s doch. Warum weinst du?
    Bloß weil du so krank bist , sagte ich jetzt. Aber das war nicht die eigent-
    liche Ursache. Es war nur eine Woge von heftiger und mitleidiger Zärtlichkeit, wie ich sie schon früher einmal gespürt hatte, die quoll plötzlich in mir auf und konnte sich nicht anders Luft machen.
    Das ist nicht so schlimm , sagte der Brosi.
    Wirst du bald wieder gesund?
    Ja, vielleicht.
    Wann denn?
    Ich weiß nicht. Es dauert lang.
    Nach einer Zeit merkte ich auf einmal, daß er eingeschlafen war. Ich wartete noch eine Weile, dann ging ich hinaus, die Stiege hinunter und wieder heim,
    wo ich sehr froh war, daß die Mutter mich nicht ausfragte. Sie hatte wohl
    gesehen, daß ich verändert war und etwas erlebt hatte, und sie strich mir nur übers Haar und nickte, ohne etwas zu sagen.
    Trotzdem kann es wohl sein, daß ich an jenem Tage noch sehr ausgelassen,
    wild und ungattig war, sei es, daß ich mit meinem kleinen Bruder händelte
    oder daß ich die Magd am Herd ärgerte oder im nassen Feld strolchte und
    besonders schmutzig heimkam. Etwas Derartiges ist jedenfalls gewesen, denn
    ich weiß noch gut, daß am selben Abend meine Mutter mich sehr zärtlich und
    ernst ansah – mag sein, daß sie mich gern ohne Worte an heute morgen erinnert hätte. Ich verstand sie auch wohl und fühlte Reue, und als sie das merkte, tat sie etwas Besonderes. Sie gab mir von ihrem Ständer am Fenster einen kleinen Tonscherben voll Erde, darin steckte eine schwärzliche Knolle, und diese hatte schon ein paar spitzige, hellgrüne, saftige junge Blättlein getrieben. Es war eine Hyazinthe. Die gab sie mir und sagte dazu:
    Paß auf, das geb ich dir jetzt.
    Später wird’s dann eine große rote Blume. Dort stell ich sie hin, und du mußt darauf achtgeben, man darf sie nicht anrühren und herumtragen, und jeden
    Tag muß man sie zweimal gießen; wenn du es vergißt, sag ich dir’s schon. Wenn es aber eine schöne Blume werden will, darfst du sie nehmen und dem Brosi
    hinbringen, daß er eine Freude hat. Kannst du dran denken?
    Sie tat mich ins Bett, und ich dachte indessen mit Stolz an die Blume, deren Wartung mir als ein ehrenvoll wichtiges Amt erschien, aber gleich am nächsten Morgen vergaß ich das Begießen, und die Mutter erinnerte mich daran.
    Und
    was ist denn mit dem Brosi seinem Blumenstock?
    fragte sie, und sie hat es
    in jenen Tagen mehr als das eine Mal sagen müssen. Dennoch beschäftigte
    und beglückte mich damals nichts so stark wie mein Blumenstock. Es standen
    noch genug andere, auch größere und schönere, im Zimmer und im Garten,
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    und Vater und Mutter hatten sie mir oft gezeigt. Aber es war nun doch das
    erstemal, daß ich mit dem Herzen dabei war, ein solches kleines Wachstum
    mit anzuschauen, zu erwünschen und zu pflegen und Sorge darum zu haben.
    Ein paar Tage lang sah es mit dem Blümlein nicht erfreulich aus, es schien
    an irgendeinem Schaden zu leiden und nicht die rechten Kräfte zum Wachsen
    zu finden. Als ich darüber zuerst betrübt und dann ungeduldig wurde, sagte
    die Mutter einmal:
    Siehst du, mit dem Blumenstock ist’s jetzt gerade so wie
    mit dem Brosi, der so krank ist. Da muß man noch einmal so lieb und sorgsam
    sein wie sonst.
    Dieser Vergleich war mir verständlich und brachte mich bald auf einen ganz
    neuen Gedanken, der mich nun völlig beherrschte. Ich fühlte jetzt einen geheimen Zusammenhang zwischen der kleinen, mühsam strebenden Pflanze und
    dem kranken Brosi, ja ich kam schließlich zu dem

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