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Die Erzaehlungen 1900-1906

Die Erzaehlungen 1900-1906

Titel: Die Erzaehlungen 1900-1906 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hermann Hesse
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beschloß aber im stillen, mich
    ein anderes Mal an dem Raben zu rächen.
    Nachher, als Brosi schon aus dem Garten und halbwegs daheim war, rief
    er mir noch einmal und kehrte um, und ich wartete auf ihn. Er kam her und
    sagte:
    Du, gelt, du versprichst mir ganz gewiß, daß du dem Jakob nichts
    mehr tust?
    Und als ich keine Antwort gab und trotzig war, versprach er mir
    zwei große Äpfel, und ich nahm an, und dann ging er heim.
    Gleich darauf wurden auf dem Baum in seines Vaters Garten die ersten
    Jakobiäpfel reif; da gab er mir die versprochenen zwei Äpfel, von den schönsten und größten. Ich schämte mich jetzt und wollte sie nicht gleich annehmen, bis er sagte:
    Nimm doch, es ist ja nicht mehr wegen dem Jakob, ich hätt sie dir
    auch so gegeben, und dein Kleiner kriegt auch einen.
    Da nahm ich sie.
    Aber einmal waren wir den ganzen Nachmittag auf dem Wiesenland her-
    umgesprungen und dann in den Wald hineingegangen, wo unter dem Gebüsch
    weiches Moos wuchs. Wir waren müd und setzten uns auf den Boden. Ein
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    paar Fliegen sumsten über einem Pilz, und allerlei Vögel flogen; von denen
    kannten wir einige, die meisten aber nicht; auch hörten wir einen Specht fleißig klopfen, und es wurde uns ganz wohl und froh zumute, so daß wir fast gar
    nichts zueinander sagten, und nur wenn einer etwas Besonderes entdeckt hat-
    te, deutete er dorthin und zeigte es dem andern. In dem überwölbten grünen
    Raume floß ein grünes mildes Licht, während der Waldgrund in die Weite
    sich in ahnungsvolle braune Dämmerung verlor. Was sich dort hinten regte,
    Blättergeräusch und Vogelschlag, das kam aus verzauberten Märchengründen
    her, klang mit geheimnisvoll fremdem Ton und konnte viel bedeuten.
    Weil es dem Brosi zu warm vom Laufen war, zog er seine Jacke aus und
    dann auch noch die Weste und legte sich ganz ins Moos hin. Da kam es, daß er sich umdrehte, und sein Hemd ging am Halse auf, und ich erschrak mächtig,
    denn ich sah über seine weiße Schulter eine lange rote Narbe hinlaufen. Gleich wollte ich ihn ausfragen, wo denn die Narbe herkäme, und freute mich schon
    auf eine rechte Unglücksgeschichte; aber wer weiß, wie es kam, ich mochte auf einmal doch nicht fragen und tat so, als hätte ich gar nichts gesehen. Jedoch zugleich tat mir Brosi mit seiner großen Narbe furchtbar leid, sie hatte sicher schrecklich geblutet und weh getan, und ich faßte in diesem Augenblick eine
    viel stärkere Zärtlichkeit zu ihm als früher, konnte aber nichts sagen. Also gingen wir später miteinander aus dem Wald und kamen heim, dann holte
    ich in der Stube meine beste Kugelbüchse aus einem dicken Holderstamm, die
    hatte mir der Knecht einmal gemacht, und ging wieder hinunter und schenkte
    sie dem Brosi. Er meinte zuerst, es sei ein Spaß, dann aber wollte er sie nicht nehmen und legte sogar die Hände auf den Rücken, und ich mußte ihm die
    Büchse in die Tasche stecken.
    Und eine Geschichte um die andere, alle kamen sie mir wieder. Auch die
    vom Tannenwald, der stand auf der anderen Seite vom Bach, und einmal war
    ich mit meinem Kameraden hinübergegangen, weil wir gern die Rehe gesehen
    hätten. Wir traten in den weiten Raum, auf den glatten braunen Boden zwi-
    schen den himmelhohen geraden Stämmen, aber so weit wir liefen, wir fanden
    kein einziges Reh. Dafür sahen wir eine Menge große Felsenstücke zwischen
    den bloßen Tannenwurzeln liegen, und fast alle diese Steine hatten Stellen, wo ein schmales Büschelchen helles Moos auf ihnen wuchs, wie kleine grüne Male.
    Ich wollte so ein Moosplätzchen abschälen, es war nicht viel größer als eine Hand. Aber der Brosi sagte schnell:
    Nein, laß es dran!
    Ich fragte warum,
    und er erklärte mir:
    Das ist, wenn ein Engel durch den Wald geht, dann sind
    das seine Tritte; überall wo er hintritt, wächst gleich so ein Moosplatz in den Stein.
    Nun vergaßen wir die Rehe und warteten, ob vielleicht gerade ein Engel
    käme. Wir blieben stehen und paßten auf; im ganzen Wald war eine Todes-
    stille, und auf dem braunen Boden fackelten helle Sonnenflecken, in der Ferne gingen die senkrechten Stämme wie eine hohe rote Säulenwand zusammen,
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    in der Höhe stand hinter den dichten schwarzen Kronen der blaue Himmel.
    Ein ganz schwaches kühles Wehen lief unhörbar hin und wieder vorüber. Da
    wurden wir beide bang und feierlich, weil es so ruhig und einsam war und weil vielleicht bald ein Engel kam, und wir gingen nach einer Weile ganz still und schnell miteinander weg, an

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