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Die Erzaehlungen 1900-1906

Die Erzaehlungen 1900-1906

Titel: Die Erzaehlungen 1900-1906 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hermann Hesse
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festen Glauben, wenn die
    Hyazinthe gedeihe, müsse auch mein Kamerad wieder gesund werden. Käme
    sie aber nicht davon, so würde er sterben, und ich trüge dann vielleicht, wenn ich die Pflanze vernachlässigt hätte, mit Schuld daran. Als dieser Gedanken-kreis in mir fertig geworden war, hütete ich den Blumentopf mit Angst und
    Eifersucht wie einen Schatz, in welchem besondere, nur mir bekannte und
    anvertraute Zauberkräfte verschlossen wären.
    Drei oder vier Tage nach meinem ersten Besuch – die Pflanze sah noch
    ziemlich kümmerlich aus – ging ich wieder ins Nachbarhaus hinüber. Brosi
    mußte ganz still liegen, und da ich nichts zu sagen hatte, stand ich nahe am Bett und sah das nach oben gerichtete Gesicht des Kranken an, das zart und
    warm aus weißen Bett-Tüchern schaute. Er machte hin und wieder die Augen
    auf und wieder zu, sonst bewegte er sich nicht, und ein klügerer und älterer Zuschauer hätte vielleicht etwas davon gefühlt, daß des kleinen Brosi Seele
    schon unruhig war und sich auf die Heimkehr besinnen wollte. Als gerade
    eine Angst vor der Stille des Stübleins über mich kommen wollte, trat die
    Nachbarin herein und holte mich freundlich und leisen Schrittes weg.
    Das nächste Mal kam ich mit viel froherem Herzen, denn zu Hause trieb
    mein Blumenstock mit neuer Lust und Kraft seine spitzigen freudigen Blätter
    heraus. Diesmal war auch der Kranke sehr munter.
    Weißt du auch noch, wie der Jakob noch am Leben war?
    fragte er mich.
    Und wir erinnerten uns an den Raben und sprachen von ihm, ahmten die
    drei Wörtlein nach, die er hatte sagen können, und redeten mit Begierde
    und Sehnsucht von einem grau und roten Papagei, der sich vorzeiten einmal
    hierher verirrt haben sollte. Ich kam ins Plaudern, und während der Brosi bald wieder ermüdete, hatte ich sein Kranksein für den Augenblick ganz vergessen.
    Ich erzählte die Geschichte vom entflogenen Papagei, die zu den Legenden
    unseres Hauses gehörte. Ihr Glanzpunkt war der, daß ein alter Hofknecht den
    schönen Vogel auf dem Dach des Schuppens sitzen sah, sogleich eine Leiter
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    anlegte und ihn einfangen wollte. Als er auf dem Dach erschien und sich dem
    Papagei vorsichtig näherte, sagte dieser:
    Guten Tag!
    Da zog der Knecht
    seine Kappe herunter und sagte:
    Bitt um Vergebung, jetzt hätt ich fast
    gemeint, Ihr wäret ein Vogeltier.
    Als ich das erzählt hatte, dachte ich, der Brosi müsse nun notwendig laut
    hinauslachen. Da er es nicht gleich tat, sah ich ihn ganz verwundert an. Ich sah ihn fein und herzlich lächeln, und seine Backen waren ein wenig röter als vorher, aber er sagte nichts und lachte nicht laut.
    Da kam es mir plötzlich vor, als sei er um viele Jahre älter als ich. Meine
    Lustigkeit war im Augenblick erloschen, statt ihrer befiel mich Verwirrung
    und Bangigkeit, denn ich empfand wohl, daß zwischen uns beiden jetzt etwas
    Neues fremd und störend aufgewachsen sei.
    Es surrte eine große Winterfliege durchs Zimmer, und ich fragte, ob ich sie
    fangen solle.
    Nein, laß sie doch!
    sagte der Brosi.
    Auch das kam mir vor, wie von einem Erwachsenen gesprochen. Befangen
    ging ich fort.
    Auf dem Heimweg empfand ich zum erstenmal in meinem Leben etwas von
    der ahnungsvollen verschleierten Schönheit des Vorfrühlings, das ich erst um Jahre später, ganz am Ende der Knabenzeiten, wieder gespürt habe.
    Was es war und wie es kam, weiß ich nicht. Ich erinnere mich aber, daß ein
    lauer Wind strich, daß feuchte dunkle Erdschollen am Rande der Äcker auf-
    ragten und streifenweise blank erglänzten und daß ein besonderer Föhngeruch
    in der Luft war. Ich erinnere mich auch dessen, daß ich eine Melodie summen
    wollte und gleich wieder aufhörte, weil irgend etwas mich bedrückte und still machte.
    Dieser kurze Heimweg vom Nachbarhaus ist mir eine merkwürdig tiefe Erinne-
    rung. Ich weiß kaum etwas Einzelnes mehr davon; aber zuweilen, wenn es mir
    gegönnt ist, mit geschlossenen Augen mich dahin zurückzufinden, meine ich,
    die Erde noch einmal mit Kindesaugen zu sehen – als Geschenk und Schöpfung
    Gottes, im leise glühenden Träumen unberührter Schönheit, wie wir Alten sie
    sonst nur aus den Werken der Künstler und Dichter kennen. Der Weg war
    vielleicht nicht ganz zweihundert Schritt lang, aber es lebte und geschah auf ihm und über ihm und an seinem Rande unendlich viel mehr als auf mancher
    Reise, die ich später unternommen habe.
    Es streckten kahle Obstbäume verschlungene und drohende Äste und von
    den

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