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Die Erzaehlungen 1900-1906

Die Erzaehlungen 1900-1906

Titel: Die Erzaehlungen 1900-1906 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hermann Hesse
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den vielen Steinen und Stämmen vorbei und aus
    dem Wald hinaus. Als wir wieder auf der Wiese und über dem Bach waren,
    sahen wir noch eine Zeitlang hinüber, dann liefen wir schnell nach Haus.
    Später hatte ich noch einmal mit dem Brosi Streit, dann versöhnten wir uns
    wieder. Es ging schon gegen den Winter hin, da hieß es, der Brosi sei krank und ob ich nicht zu ihm gehen wollte. Ich ging auch ein- oder zweimal, da lag er im Bett und sagte fast gar nichts, und es war mir bang und langweilig, obgleich seine Mutter mir eine halbe Orange schenkte. Und dann kam nichts mehr; ich
    spielte mit meinem Bruder und mit dem Löhnersnikel oder mit den Mädchen,
    und so ging eine lange, lange Zeit vorbei. Es fiel Schnee und schmolz wieder und fiel noch einmal; der Bach fror zu, ging wieder auf und war braun und weiß und machte eine Überschwemmung und brachte vom Obertal eine ertrunkene
    Sau und eine Menge Holz mit; es wurden kleine Hühner geboren, und drei
    davon starben; mein Brüderlein wurde krank und wurde wieder gesund; es war
    in den Scheuern gedroschen und in den Stuben gesponnen worden, und jetzt
    wurden die Felder wieder gepflügt, alles ohne den Brosi. So war er ferner und ferner geworden und am Ende verschwunden und von mir vergessen worden –
    bis jetzt, bis auf diese Nacht, wo das rote Licht durchs Schlüsselloch floß und ich den Vater zur Mutter sagen hörte:
    Wenn’s Frühjahr kommt, wird’s ihn
    wegnehmen.
    Unter vielen sich verwirrenden Erinnerungen und Gefühlen schlief ich ein,
    und vielleicht wäre schon am nächsten Tage im Drang des Erlebens das kaum
    erwachte Gedächtnis an den entschwundenen Spielgefährten wieder unterge-
    sunken und wäre dann vielleicht nie mehr in der gleichen, frischen Schönheit und Stärke zurückgekommen. Aber gleich beim Frühstück fragte mich die Mutter:
    Denkst du auch noch einmal an den Brosi, der immer mit euch gespielt
    hat?
    Da rief ich
    Ja , und sie fuhr fort mit ihrer guten Stimme:
    Im Frühjahr,
    weißt du, wäret ihr beide miteinander in die Schule gekommen. Aber jetzt ist er so krank, daß es vielleicht nichts damit sein wird. Willst du einmal zu ihm gehen?
    Sie sagte das so ernsthaft, und ich dachte an das, was ich in der Nacht
    den Vater hatte sagen hören, und ich fühlte ein Grauen, aber zugleich eine
    angstvolle Neugierde. Der Brosi sollte, nach des Vaters Worten, den Tod im
    Gesicht haben, und das schien mir unsäglich grauenhaft und wunderbar.
    Ich sagte wieder
    ja , und die Mutter schärfte mir ein:
    Denk dran, daß
    er so krank ist! Du kannst jetzt nicht mit ihm spielen und darfst kein Lärmen 158
    vollführen.
    Ich versprach alles und bemühte mich schon jetzt, ganz still und bescheiden
    zu sein, und noch am gleichen Morgen ging ich hinüber. Vor dem Hause, das
    ruhig und ein wenig feierlich hinter seinen beiden kahlen Kastanienbäumen im kühlen Vormittagslicht lag, blieb ich stehen und wartete eine Weile, horchte in den Flur hinein und bekam fast Lust, wieder heimzulaufen. Da faßte ich
    mir ein Herz, stieg schnell die drei roten Steinstufen hinauf und durch die
    offenstehende Türhälfte, sah mich im Gehen um und klopfte an die nächste
    Tür. Des Brosi Mutter war eine kleine, flinke und sanfte Frau, die kam heraus und hob mich auf und gab mir einen Kuß, und dann fragte sie:
    Hast du zum
    Brosi kommen wollen?
    Es ging nicht lang, so stand sie im oberen Stockwerk vor einer weißen Kam-
    mertür und hielt mich an der Hand. Auf diese ihre Hand, die mich zu den
    dunkel vermuteten grauenhaften Wunderdingen führen sollte, sah ich nicht
    anders als auf die eines Engels oder eines Zauberers. Das Herz schlug mir
    geängstigt und ungestüm wie ein Warner, und ich zögerte nach Kräften und
    strebte zurück, so daß die Frau mich fast in die Stube ziehen mußte. Es war ei-ne große, helle und behaglich nette Kammer; ich stand verlegen und grausend
    an der Tür und schaute auf das lichte Bett hin, bis die Frau mich hinzuführte.
    Da drehte der Brosi sich zu uns herum.
    Und ich blickte aufmerksam in sein Gesicht, das war schmal und spitzig,
    aber den Tod konnte ich nicht darin sehen, sondern nur ein feines Licht, und in den Augen etwas Ungewohntes, gütig Ernstes und Geduldiges, bei dessen
    Anblick mir ähnlich ums Herz ward wie bei jenem Stehen und Lauschen im
    schweigenden Tannenwald, da ich in banger Neugierde den Atem anhielt und
    Engelsschritte in meiner Nähe vorbeigehen spürte.
    Der Brosi nickte und streckte mir eine Hand hin, die heiß und

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