Die Erzaehlungen
netten Schutzdecken legen erlauben Und damit die gute Tante durch ihre Freude über diesen Scherz mich nicht unnötig aufhält, tue ich also ohneweiters; denn ich habe noch viel zu erzählen, zum Beispiel dieses: ›Das ist ja alles recht schön und gut; ich weiß, es gibt Gesetze und Sitten, und die Menschen pflegen sich mehr oder minder daran zu halten. Aber mich darfst du nicht zu diesen ehrsamen Staatsbürgern zählen, beste Tante. Ich bin mein eigener Gesetzgeber und König, über mir ist niemand, nicht einmal Gott ‹ Ja, Fräulein, so ungefähr sag ich zu meiner Tante, und sie ist rot vor Entrüstung. Sie zittert: ›Es haben schon andere sich fügen gelernt …‹ ›Mag sein‹, antworte ich gleichgültig. ›Du bist nicht der Erste, und für Leute von diesen Ansichten gibt es Narrenhäuser und Zuchthäuser, Gott sei Dank ‹, meine Tante weint schon »von der Art gibt es Hunderte.‹ Aber da bin ich empört: ›Nein‹, schrei ich sie an, ›es gibt keinen wie ich, hat nie einen Solchen gegeben …‹ Schrei und schrei, denn ich muß mich selbst überschreien mit dieser Phrase. Bis ich plötzlich bemerke, daß ich in einer fremden Stube vor einer hilflosen alten Dame stehe und irgendeine Rolle spiele. Dann schleiche ich scheu davon, laufe die Gasse entlang und tret in meine Stube im letzten Augenblick eh mir die Tränen aus den Augen brechen. Und dann « Ewald Tragy schüttelt heftig mit dem Kopf, als wollte er die Gedanken, die sich immer weiter bauen, zum Einsturz bringen. Er weiß: ich weine dann, freilich, weil ich mich verraten habe. Aber wie soll ich das erklären und wozu? Das ist ja wieder ein Verrat.
Und er versichert hastig: »Unsinn, Fräulein Sie dürfen nicht glauben, daß ich wirklich weine «
Und schon tut ihm die Lüge weh.
Es hat so wohlgetan sich anzuvertrauen und nun ist wieder Alles verdorben. Man muß nicht immer wieder anfangen, denkt Tragy und bleibt verstimmt und stumm.
Das Fräulein schweigt auch.
Sie horchen: die Karten fallen auf die Spieltische, wie Tropfen von Bäumen, die jemand schüttelt. Und von Zeit zu Zeit mit großer Wichtigkeit:
»Die Tante gibt«
oder: »wer meliert?«
oder: »Treff ist atout«,
und: das Kichern der vier Kusinen.
Jeanne denkt nach. Sie will etwas Liebes sagen, also für ihn: etwas Deutsches. Aber sie weiß nicht, wie sie die fremden Worte erwärmen soll, darum bittet sie endlich: »Sei nicht traurig«. Und schämt sich.
Der junge Mensch blickt auf und sieht ihr ernst und sinnend ins Gesicht, solange bis sie aufgehört hat, zu glauben: ich habe sicher Unsinn gesagt. Dann nickt er ein wenig und nimmt ganz ernst ihre Hand, die er vorsichtig zwischen seine beiden legt. Es ist wie ein Versuch, und er weiß nicht, was tun mit dieser Mädchenhand, denn er gibt sie frei, läßt sie einfach fallen, der junge Mensch.
Indessen hat Jeanne einen zweiten deutschen Satz gefunden, auf den sie sehr stolz ist: »Sie haben doch noch nichts verloren?«
Da faltet Ewald die Hände im Schooß und sieht zum Fenster hinaus.
Pause. »Sie sind so jung «, tröstet ihn das Mädchen zaghaft.
»Oh« macht er. Er ist wirklich überzeugt, daß das Leben für ihn eigentlich abgetan ist; nicht, daß er mittendurch gegangen wäre, aber ein für allemal vorbei. Er lügt also jetzt nicht und ist wahrhaft traurig: »Jung? Ist es das, bitte? Ich habe Alles verloren…«
Pause.
»auch Gott«, und er bemüht sich, jedes Pathos zu vermeiden. Da lächelt sie; sie ist fromm.
Er versteht dieses Lächeln nicht, gerade jetzt stört es ihn, und er ist ein wenig verletzt. Allein sie kommt um Verzeihung bitten, steht auf und sagt:
»Ewald,« sie spricht es aus mit falscher Betonung auf dem a und mit einem dunkeln stummen e am Ende, das geheimnisvoll und wie eine Verheißung klingt, »ich glaube, Sie werden Alles erst finden «
Und dabei steht sie so hoch und feierlich vor ihm.
Er senkt die Stirne tiefer und will prahlen: ›Kind‹ so recht wehmütig überlegen, und ist doch so leise dankbar gleich darauf und möchte jubeln dürfen: »Ich weiß.« Und er tut weder das eine, noch das andere.
Da bemerkt jemand im Spielzimmer, daß es so schweigsam geworden sei nebenan. Frau von Wallbach runzelt die Stirn und befiehlt gleich: »Jeanne!«
Jeanne zögert.
Die Hausfrau ist wirklich besorgt, und die vier Kusinen helfen ihr: »Fräulein!«
Da neigt sich die Französin und man weiß nicht, ist das Frage oder Befehl: »Und Sie reisen?!«
»Ja«, flüstert Ewald rasch. Er fühlt dabei
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