Die Erzaehlungen
müssen mir ein neues Löschblatt unterlegen!«
Teufelsspuk
(1898/99)
Graf Paul galt für jähzornig. Als der Tod ihm zeitig seine junge Gemahlin nahm, warf er ihm alles nach: seine Güter, sein Geld und sogar seine Mätressen. Er stand noch bei den Windischgrätzdragonern. Da fand der Baron Sterowitz gelegentlich: »Dein Mund ist fast wie der der seligen Gräfin.« Der Verwitwete war gerührt. Seither hatte er immer ein Glas Wein irgendwo ganz nahe; denn dieses schien die einzige Möglichkeit, diesen geliebten Mund sich beständig entgegenkommen zu sehen sagt man. Tatsache ist, daß Graf Paul zwei Jahre später von seinen Besitzungen keinen Nagel besaß.
Trotzdem forderte er uns, als wir einmal zufällig in der Nähe eines der Stammgüter der Felderodes waren, auf, mitzukommen. »Ich muß euch die Stätte meines Glückes zeigen«, versicherte er uns und wandte sich zu den Damen: »den Ort, wo ich Kind sein durfte.«
An einem guten Augustabend trafen wir in einiger Gesellschaft in Groß-Rohozec ein. Daß es so spät geworden war, lag an der Stimmung des Grafen. Er war lauter Glanz. Man kam vor gegenseitigem Entzücken nicht von der Stelle. Endlich einigten wir uns, Schloß und Park (da doch jetzt keine Besuchsstunde mehr war) am nächsten Morgen zu besichtigen und die Sonne von der hohen Ruine aus sinken zu sehen. »Meine Ruine«, rief der Graf, und es war, als schlüge er die alten Ringmauern wie einen Wettermantel um seine schlanke Gestalt. Ein kleines Gasthaus überraschte uns oben, und die Stimmung steigerte sich zusehends. »Mit allen Fasern hänge ich an diesen Steinen«, versicherte Graf Paul und lief auf den Zinnen des Burgfried hin und her. Als er wieder unter uns stand, fragte jemand: »Sind wir angemeldet für morgen da unten?« Und eine Frauenstimme: »Wem gehört Groß-Rohozec jetzt?« Der Graf hätte gern überhört: »Oh, einem tüchtigen jungen Mann übrigens Finanzwelt natürlich. Konsul so was.«
»Verheiratet?« forschte eine ältere, weibliche Stimme.
»Nein vorläufig bemuttert«, lachte der Graf. Dann fand er ganz rasch den Wein trefflich, die Gesellschaft superb, den Abend königlich und seine Idee, herzukommen groß. Dazwischen sang er italienische Romanzen nicht ohne Pathos, und Ländler, zu denen er die nötigen Sprünge übte. Als er endlich nicht mehr sang, hielt ich es für geraten, aufzubrechen. Man schützte Müdigkeit vor, nötigte ihn, noch ein Stündchen in »seiner Ruine« zu bleiben, und stieg gemeinsam zu dem kleinen Dorfgasthof herab. »Ich komme gleich nach!« rief der Graf hinter uns. Der Weg führte am Schlosse vorbei. Dieses widersprach der Nacht mit allen Fenstern. Der Konsul gab Gesellschaft.
Erst gegen Mitternacht rollten die letzten Wagen aus dem Park. Die Konsulmutter pustete in dem halboffenen Vorsaal die Kerzen aus. Jedes neue Dunkel schien mit ihr zu verwachsen. Ihre Gestalt wälzte sich immer unförmiger durch den Raum, jemehr Knöpfe der engen Atlastaille sie aufriß. Sie schien endlich das Dunkel selbst zu sein, welches bald das ganze Schloß ausfüllen wird. Auch der Sohn lief, an allen Seiten spitz und kantig wie ein Torpedo, in einem fort hin und her, als mühte er sich, seine Mutter zu fassen, ehe sie einfach die Finsternis wurde. Eigentlich tat er dieses der Kühle wegen. Die beiden Menschen kreuzten in ihrer atemlosen Hast jedesmal vor dem vornehmen Spiegel, der nichts Eiligeres wußte, als diesen Knäuel von Gliedern und Falten rasch wieder auszuspeien. Er war verwöhnt durch die Bilderbissen aus dieser Nacht: zwei Grafen, ein Baron und viele annehmbare Herren und Damen. Nun mußte er sich doch mit dem schwarzen, engbrüstigen Konsul zufriedengeben. Empört warf er dem Schloßherrn sein Gesicht ins Gesicht. Das war traurig genug. Trotzdem fand sich der so Beleidigte viel zu unverbraucht, zu jungfräulich.
Auch die Mutter war indessen still geworden. Sie war wie ein Knäuel in eine Ecke gerollt, und es brauchte einen Augenblick, ehe der Konsul erklärlich fand, was dort klirrte. Die Erkenntnis erschreckte ihn: »Mais, laissez donc, les domestiques!« rief er sehr laut, solange er noch vor dem Spiegel stand. Dann verlor er sich und übersetzte: »Was sollen die Leute denken, Mama; laß das, geh schlafen… Ich werde Friedrich rufen.« Diese Drohung gab den Ausschlag. Es war ein Glück, daß man den alten gräflichen Diener behalten hatte. Wie wäre sonst zum Beispiel dieses Diner zustande gekommen. Aber es war auch eine Gefahr. Man wußte nicht, was
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