Die Erzaehlungen
andern sahen ihm in ängstlicher Erwartung nach.
Friedrich faßte die Bettdecke und leuchtete dem Menschen jählings ins Gesicht. Seine Bewegungen besaßen solche Energie, daß Leo heldenhaft wurde und zeterte: »Werfen Sie ihn heraus, diesen Lumpen diesen Unverschämten…« Er wollte sich durch seinen Zorn bei der Mutter entschuldigen. Aber da stand Friedrich plötzlich vor ihm, steif und streng wie ein Gericht. Sein Finger hielt an seinen verschwiegenen Lippen Wache. Mit dieser Gebärde drängte er seine Gebieter sanft aus dem Schlafzimmer hinaus, verschloß sorgfältig die Glastüre, ließ die Portieren darüberfallen und blies langsam die vier Lichter des Armleuchters aus, eines nach dem anderen. Mutter und Sohn begleiteten jede seiner Gesten mit hilflosen stummen Fragen.
Dann verneigte sich der Alte ehrerbietig vor seinem Herrn und meldete, wie man Besuche anmeldet:
»Seine Durchlaucht Graf Paul Felderode, k. u. k. Rittmeister a. D.«
Der Konsul wollte etwas sagen, aber er bemerkte, daß ihm die Stimme fehlte. Er fuhr einigemal mit seinem Tuche über die Stirne. Er wagte nicht, seine Mutter anzusehen. Allein da fühlte er, wie die alte Frau nach seiner Hand tastete und sie leise, ganz leise behielt. Diese kleine Zärtlichkeit rührte ihn. Sie verband diese beiden Menschen und hob sie aus ihrer Alltäglichkeit in ein Schicksal hinein, in das Schicksal jener, die ohne Heimat sind. Friedrich verneigte sich jetzt tiefer als früher und sagte:
»Darf ich die Gastzimmer richten lassen?«
Dann löschte er den grünen Salon und ging seiner Herrschaft auf den Zehen nach.
Im Gespräch
(1898/99)
Man kann gut denken, daß Bilder im Saale sind: tiefe, träumerische in ruhigen Rahmen. Ein Giorgione vielleicht oder so ein purpurdunkles Porträt von einem nach Tizian, etwa dem Paris Bordone. Dann weiß man, daß Blumen da sind. Große erstaunte Blumen, die den ganzen Tag in tiefen, kühlen Bronzeschalen liegen und Düfte singen: müßige Blumen.
Und müßige Menschen. Zwei, drei oder fünf. Immer wieder streckt sich das Licht aus dem Riesenkamin und beginnt sie zu zählen. Aber es irrt sich immer wieder.
Ganz vorn an der Feuerstelle lehnt die Prinzessin in Weiß; neben dem großen Samowar, der allen Glanz fangen möchte. Sie ist wie eine wilde Farbenskizze, so hingestrichen im Sturm eines Einfalls oder einer Laune. Mit Schatten und Licht gemalt aus irgend einer genialen Ungeduld heraus. Nur die Lippen sind feiner ausgeführt. Als ob alles andere nur um dieses Mundes willen da wäre. Als ob man ein Buch gemacht hätte, um auf eine von hundert Seiten die stille Elegie dieses Lächelns zu schreiben.
Der Herr aus Wien neben ihr neigt sich ein wenig vor in dem breiten Gobelinstuhl: »Durchlaucht« sagt er und irgend etwas hinterdrein, was ihm selber wertlos scheint. Aber die weichen Worte, die nichts bedeuten, gehen über alle hin, wie eine Wärme, und Jemand sagt dankbar: »Deutsch sprechen ist fast wie Schweigen.«
Und dann hat man wieder eine Weile Zeit zu denken, daß Bilder da sind, und welche. Bis Graf Saint-Quentin, der am Kamin steht, fragt: »Haben Sie die Madonna gesehen, Helena Pawlowna?«
Die Prinzessin senkt die Stirne.
»Sie werden sie nicht kaufen?«
»Es ist ein gutes Bild« sagt der Herr aus Wien und vertieft sich in seine feinen, frauenhaften Hände.
Und ein deutscher Maler, der irgendwo im Dunkel sitzt, fügt hastig an:
»Ja, man könnte es um sich haben. Ich meine in der Wohnstube oder so.« Und nachdem seine Worte ganz verklungen sind, neigt sich Helena Pawlowna vor: »Nein« sagt sie, und dann traurig: »Man müßte ihm einen Altar bauen.«
Ihre Worte tasten tief in den Saal hinein, wie Suchende. Pause. Da macht die Prinzessin eine kleine bange Bewegung und will ihnen finden helfen.
»Kasimir, soll ich die Madonna kaufen?«
Weither kommt eine volle slavische Stimme, um sich zu wundern.
»Sie fragen mich ?«
Pause.
Und Helena Pawlowna bittet um Verzeihung: »Sind Sie nicht Künstler?«
Antwort: »Manchmal, Helena Pawlowna, manchmal «
Wenn die silberne Uhr jetzt nicht geschlagen hätte, würde der deutsche Maler geantwortet haben: »Aber« doch die silberne Uhr rief auf einmal eine ganze Menge, und da gab er es auf. Besonders, da Graf Saint-Quentin sagte: »Übrigens, sind Sie den ersten Winter in Venedig, Helena Pawlowna?«
»Ja. Aber ich kann mir nicht denken, daß es jemals anders war.«
»Es ist seltsam. Diese alten Paläste sind so rührend in ihrem Anvertrauen. Sie haben viele
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