Die Erzaehlungen
Erinnerungen. Und da ist einem manchmal, als ob man alle mit ihnen teilte. Nicht?« So sagt der Herr aus Wien und schließt die Augen dabei.
Er sieht also nicht, daß Helena Pawlowna lächelt, während sie ergänzt: »Sie haben Recht. Eines besonders: daß man nicht hier Kind war, kann man gar nicht begreifen. Denken Sie: oft auf der Gasse oder in Gärten geschah mir, ich müßte jemandem winken und ihm erzählen: Hier hab ich immer gespielt als Kind. Oder: hier in diese Kirche bin ich beten gegangen, zu diesem Bild lauter, lauter Lügen.«
Da kommt die Stimme Kasimirs traurig näher:
»Und doch haben Sie nie jemanden gerufen, Helena?«
»Oh, wer hätte mir denn geglaubt, Kasimir.«
Pause.
Und leise überlegt Graf Saint-Quentin: » Darf man nicht lügen in solchen Fällen?«
»Aus Sehnsucht einfach « bestärkt der Herr aus Wien.
»Aus Schönheit « fühlt Graf Saint-Quendn.
»Es schadet ja keinem«, meint der deutsche Maler und steht plötzlich auf.
Da beginnt Kasimir: »Es ist ja ohnehin falsch, was man so hinter sich hat. Glauben Sie, Graf, Sie sind in der Vendée Knabe gewesen und wild und ungestüm? Meinen Sie, Herr, das war Wien, was um Ihr erstes Erwachen herum war? Und Sie, Herr, daß dieses flache Land, von dem Sie oft erzählen, wirklich Hintergrund aller Märchen war, wissen Sie das? Dieses Schloß, bitte, und diese Stadt und Ihre Heide da, waren das nicht vielmehr die Grenzen jenes Landes, in welchem Sie tief und innig lebten? Bitte, hörte Ihr Besitz nicht dort auf, wo das Andere begann? Ging Ihre Sonne nicht unter, immer wenn Sie das wirkliche Licht empfanden? Starben die stillen Gestalten in Ihnen nicht an jedem Wort, das Ihr Vater zum Beispiel zu Ihnen sagte? Und Dinge. Wurden die Dinge nicht wertlos im Augenblick, da Sie erkannten, daß sie nicht Ihnen allein gehörten, sondern so herumstehen, daß ein jeder sie anfassen und benutzen kann nach Laune? Überlegen Sie das, bitte. Ob man nicht alles echte Gold, welches man hat, langsam in Scheine umwechselt. Wie? Und endlich hat man lauter Anweisungen statt der Werte. Und wenn heute oder morgen der große Krach kommt, dann ist man Bettler ist das nicht so?«
Pause.
Und dann Helena Pawlowna: »Mir ist, als ob Sie nicht alles Gold umgewechselt hätten, Kasimir.«
»Vielleicht, Helena Pawlowna, es kann sein, daß ich das getan habe. Aber dieses Gold gilt nicht im Leben, müssen Sie wissen. Es ist außer Kurs. Man muß Scheine haben und recht viele«
Das macht den deutschen Maler ungeduldig: »Ja, ja « sagt er, »da hört man’s ja wieder. Ihr seid Pessimisten, ihr Slaven, unheilbare Pessimisten. Wir haben das überwunden: wir lieben das Leben, und unsere Kunst kommt mitten heraus.« Er macht ein paar Schritte zum Fenster hin und fügt von dort etwas leiser hinzu: »Ich glaube doch, die Herren müssen mir recht geben. Sie, Herr Graf; denn die Franzosen haben uns ja gerade manches gelehrt, was das Leben betrifft. Wie? Na und ihr in Wien…«
»Ja, ja«, antwortet der Herr mit den feinen Händen langsam, »es ist wahr, wir in Wien, wir tun gerne so, als ob wir alles hätten Leben und Kunst und «
Und Graf Saint-Quentin nippt von seinem Tee und ist so mit der feinen Tasse beschäftigt, daß er nicht zum Antworten kommt. Wie er sie hinstellt, singt sie eine Weile vor sich hin. Aber der deutsche Maler ärgert sich. Er fühlt sich so im Stiche gelassen und hat die Idee, seine Sache retten zu müssen um jeden Preis. Er beginnt also:
»Darum habt ihr ja auch eigentlich keine Kunst, ihr Polen und so weiter. Na, was Literatur betrifft und so Zeug, kann sein. Man soll aus Weltschmerz ja schöne Gedichte machen können und dann sentimentale Musik, hm, Chopin, Tschaikowski, freilich. Aber davon versteh ich nichts. Was Malerei anlangt, ich meine, moderne «
»Oh, sehen Sie den Wereschtschagin «
Der Maler wehrt ab.
»Oder Porträt: da haben wir jetzt in Wien den Pochwalski« der Wiener wird ganz eifrig in dem Bestreben, die schroffe Behauptung des anderen zu dämpfen.
Er möchte immer noch eine Liebenswürdigkeit darüber breiten, und seine Hände zittern davon.
Aber da sagt Kasimir schon:
»Der Herr hat ganz recht. Wir haben keine Kunst.«
»Vergessen Sie Ihren ›Pan Tadeuz‹ nicht«, mahnt Graf Saint-Quentin.
»Gerade an ihn denke ich. Und an die großen Russen. Und an Tetmajer und diese feinen jungen Poeten, die das Kranksein so schön machen. Sie sehen, ich denke an Viele. Und dabei kommt heraus, daß wir Künste haben , keine Kunst. Viele
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