Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Erzaehlungen

Die Erzaehlungen

Titel: Die Erzaehlungen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rainer Maria Rilke
Vom Netzwerk:
die Zeit. Das wird schon besser werden. Du kannst dich darauf verlassen.« Pause. »Aber das ist so eure Art: Sensation um jeden Preis. Nichts Ruhiges. Lauter Trapezgefühle; und man wartet immer, ob sie nicht im nächsten Augenblick den Hals brechen. Ich kenne das. Aber man fällt euch immer wieder hinein auf eure Empfindelei.«
    »Die Dinge sind vielleicht doch nicht so einfach.« Bang sagt das fast pfeifend.
    »Gewiß, weil ihr sie nicht einfach wollt.«
    »Oh wollen ,« macht Bang, »überhaupt: wollen…« und er schaut über alles weg ins Grenzenlose.
    »No ja, da wären wir ja glücklich wieder.« Holzer ist fast fröhlich jetzt. Er zündet die Lampe an und verneigt sich dann vor dem Freunde:
    »Euer Hochwohlgeboren erlauben: Mein Name ist Holzer. Das ist wörtlich zu nehmen. Mein Vater selig war nämlich der ›alte Holzer‹. Sie können von ihm hören im Dorf drunten. Die meisten werden sich an den breiten Bauern erinnern, den Holzerbauer. Und ich hab auch noch was aus seinem Blut, hoff ich. Sowas Grades, Eichenes…«
    Ernst Bang fühlt sich durch das grelle gelbe Licht der Lampe gestört: »Ich denke, ich gehe jetzt.«
    Holzer lacht: »Wie du willst. Aber damit die Lektion in Gottes Namen doch einen Schluß hat, sag mir doch schnell, was ich, nach deiner Meinung, in diesem Fall zu tun habe?…«
    Bang macht eine Bewegung, so, an allem vorbei.
    »Sprich, die ganze Kultur steht hinter dir, bedenke!« Und er nimmt dem Zögernden den Flut wieder aus der Hand und begütigt, in anderem Ton:
    »Wirklich, Ernst, Freund zum Freund. Du hast mir deine Ansicht gesagt, und, so sonderbar sie sein mag, ich bin dir dankbar dafür. Ohne Zweifel hast du auch einen Rat mitgebracht. Ein Medikament gegen das gefährliche Übel, wie? Ihr seid ja alle Ärzte, ihr modernen Menschen.«
    Bang versucht zu lächeln.
    »Ich bin gespannt. Was soll ich tun, Ernst? Was soll ich sagen?«
    Und da wird Bang wieder sehr ernst. Er kommt ein paar Schritte zurück und antwortet sehr hastig: »Sagen? Hm. Ich glaube, es ist deine Sache, einfach zuzuhören …«
    Auch Hermann lacht nicht mehr: »Ich versteh dich nicht…«
    »Nun, Helene ist von denen, die sich aussprechen müssen um jeden Preis…« Pause. »Es könnte ja sein, daß Helene dir etwas zu erzählen hat… von… früher…« Pause.
    »So«, sagt Holzer dann kurz und begleitet den andern an die Tür.
    Da tritt Helene ein, gerade den beiden entgegen.
    »Oh« macht sie, als sie Ernst Bang erkennt, und Holzer lacht: »Eine Überraschung, was? Alte Freunde?!«
    »Ja «, versucht Helene und geht an Bang vorbei.
    Da hat Hermann einen Einfall, ganz unvermittelt offenbar. »Du hast doch wohl noch Zeit?« Eigentlich klingt das für eine Frage recht entschieden. Unwillkürlich bleibt Bang stehen. Er sieht, wie Hermann das Mädchen bei der Hand nimmt und in den hellen Kreis der Lampe zieht, und es kommt ihm unerhört brutal vor. Dann hört er ihn sagen: »Blaß? Bist du blaß, Helen’?« Pause.
    »Möglich, daß das die Lampe macht; es ist ein ungünstiges Licht. Aber du fühlst dich doch wohl?« Pause.
    »Dieser Herr da sagt nämlich…«
    Helene macht eine Bewegung, als ob sie flüchten wollte. Ernst Bang fühlt sich auf einmal vollkommen unbeteiligt, Zuschauer. Er möchte bequem sitzen, um nichts von dem zu verlieren, was kommt. Also:
    »Dieser Herr sagt: Ich zerbreche dich?« Pause.
    Ernst Bang denkt: Zu schleppend ist diese Szene. Flotter, bitte!
    Pause. Dann, sehr laut: »Ist das wahr?«
    Heftiges Weinen.
    Ernst Bang macht zwei Schritte; er hat die Empfindung: Schluß! Man kann gehen. Es kommt nichts mehr.
    Aber das ist ein Irrtum; es kommt noch etwas: Hermann Holzers Riesenlachen. Und hinterdrein: »Kinder seid ihr, richtige Kinder. Ihr beide. Du Helen’ und der da. Gott sei Dank, daß wir jetzt beisammen sind, sonst tätet ihr jeder was Sentimentales. Ich sehs euch an. Wir wollen auch beisammen bleiben heute und irgend etwas feiern; es wird sich schon was finden lassen.«
    Pause. Helene neigt sich mit halbgetrockneten Augen zu Hermann und flüstert ihm etwas zu. Er versteht nicht gleich. Dann lacht er: »Wir beide allein? Gott bewahre! Kinderei! Im Gegenteil, was ich jetzt zu sagen habe, muß Ernst mithören. Leg nur deinen Hut fort, mein Lieber.«
    Und als Bang keine Anstalten macht, fügt Holzer an: »Wenn ich dich darum bitte .« Und da auch das nichts hilft, braucht er ein letztes Mittel: »Helen’ will es auch, nicht wahr?«
    Und da wird eine Stille um ein kleines farbloses

Weitere Kostenlose Bücher