Die Erzaehlungen
Jetzt besieht er langsam seine linke Hand und dann seine rechte. Mit einem gewissen Eifer, als ob das ein Wiedersehen nach Jahren wäre.
Holzer geht schon wieder auf und ab. »Heute muß auch noch die Antwort kommen, ob ich Aussicht habe, den Privatunterricht bei Holms zu übernehmen. Davon hängt viel ab.
Ohne diesen Zuschuß kann ich nicht daran denken, zu heiraten.«
Bang macht eine geräuschvolle Bewegung. Holzer wendet sich ihm erwartungsvoll zu. Aber er erhält nur ein zerstreutes: »Ja, freilich…« und fährt fort mit den Schritten und mit den Worten: »Ich denke mir, dann erst wirds Ruhe geben. Dann wird man erst anfangen können, was Vernünftiges zu arbeiten. Bis man so versorgt ist, sich um nichts zu kümmern hat.« Pause… und: »Helene versteht das…« Pause. »Natürlich werden wir irgendwo draußen wohnen…«
Er ist gerade wieder vor dem Fenster.
Bangs feine Lippen wehren sich gegen ein Wort. Dann schlägt es nach innen und treibt den jungen Menschen in die Höhe. Er steht eine Weile ratlos, ehe er ein paar Schritte gegen den Freund zu macht. Als er neben ihn tritt, sagt Holzer gerade: »Hör mal!«
Ein trauriges slavisches Volkslied weht wie Rauch den Lichthof herauf. Es ist, als ob das Lied sich auf die Fußspitzen stellte, um über Dächer und Türme zu schauen… irgendwohin.
Bang hebt unwillkürlich den Kopf und schließt die Augen.
»Weißt du, was das ist?« lacht Holzer.
Pause. Dann träumt Bang vor sich hin: »Heimweh…«
Holzer rüttelt ihn. »Der kleine Frosch vom Land da unten wäscht Geschirr ab. Da singt sie immer dazu, immer dasselbe mit dieser dummen verwaschenen Stimme. Jeden Nachmittag um halb vier. Sieh mal (er hält ihm die Uhr hin), pünktlich, was? So ist jede Tageszeit hier bezeichnet. Ich könnte meine Uhr ruhig versetzen: Leiermann, Drahtbinder, Gemüsemann, Lumpenweib: so heißen meine Stunden. Und dabei arbeite einer! Zudem giebt es auch noch ein Vis-à-vis. Sieh mal… nett, nicht?«
Hermann Holzer verschwendet ein paar Kußhände; und aus seinem befriedigten Lächeln kann man schließen, daß sie nicht in den Hof hinunterfallen. Dann kehrt er sich plötzlich ins Zimmer: »Darum heirate man… ehestens!«
Bang macht eine Bewegung der Abwehr.
Hermann Holzer bemerkt es, sieht ihn einen Augenblick an und langt sich eine Zigarette vom Tisch her.
»Willst du nicht, Bang?«
»Danke.«
Und Holzer zündet in aller Behaglichkeit eine Zigarette an. Dann sagt er, während er das benutzte Zündholz heftig hin und her bewegt, als ob er irgend etwas durchstreichen wollte, was in der Luft geschrieben steht: »Hm? «
Bang schaut zum Fenster hinaus. Mit den kleinen, unteren Vorderzähnen quält er sein blondes Schnurrbärtchen. Pause.
Hermann Holzer geht schon wieder auf und ab und raucht mit unglaublicher Heftigkeit. Plötzlich bleibt er stehen, und seine Stimme bohrt sich durch den Qualm: »Farbe, Farbe, lieber Bang. Rot oder grün? Was ist los?«
Ernst Bang kommt näher, und seine Hand sieht lächerlich zart aus auf der ruhigen, runden Schulter des anderen. Er betrachtet seine Schuhe, seinen linken besonders, und spricht dabei: »Ich bin überzeugt, du wirst mich nicht mißverstehen, Hermann…«
Holzer wird unruhig: »Muß es denn so feierlich sein? Heraus damit! Herr Gott, umgebracht hab ich keinen,… also…« Bang hebt seine Augen, und sie sind ordentlich schwer von Trauer.
»Oder doch?« lacht Holzer.
Da tritt Ernst Bang zurück zum Fenster, und es wird wieder Raum für das armselige Heimwehlied. Mitten hinein in die kleine ängstliche Melodie streut Bang die langsamen Worte: »Nimm mir’s nicht übel, Hermann, aber… du… zerbrichst… sie…« Pause.
Hermann Holzer nimmt die Zigarette aus dem Mund und legt sie leise auf den Rand des Tisches. Der feine Rauch steigt steil auf inmitten der Stube. Unwillkürlich folgen beide mit den Blicken dieser ruhigen, feierlichen Bewegung. Da nimmt Holzer einen Stuhl in die Hände und versucht, ihn zu heben. Auf einmal läßt er ihn fallen und schreit in das Gepolter hinein:
»Du bist wohl verrückt?«
»Laß uns ruhig darüber reden, bitte…«
Bangs Stimme zittert ein wenig.
Aber Holzer ist noch nicht so weit: »Ich… zerbreche… sie…«, wiederholt er mit Betonung, als müßte er diese Worte auswendig lernen. Immer von neuem beginnt er: »Ich zer…«
»Hermann…«, bittet der andere.
»Ich zer…« Und Holzer lacht auf einmal zügellos. Man muß es im ganzen Hause hören. Endlich geht ihm das
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