Die Erzaehlungen
seine Worte auch diese folgenden:
»Was muß man also tun, Helena, damit es nicht so traurig ist, das? Nicht so sinnlos traurig. Jetzt sagen Sie mir’s, Helena. Sie sagen ich höre, etwa Das sagen Sie, Helena, nur besser, strahlender, als ich es kann: man muß, sagen Sie, dort muß man anfangen, wo Gott abließ, wo er müde wurde, dort muß man einsetzen. Wo ist das, Helena, bitte? Im Leben ist das, beim Menschen. Nicht bei den Vielen, bei dem einen Menschen, der einem entgegenkommt von Ewigkeit. Der einem alles das bringt, das Andere, was man noch braucht, um nie eine Not zu haben, um beginnen zu können sorglos, verschwenderisch; denn das darf nicht sein, Helena, wie ein flüchtiger Besuch von Mensch zu Mensch. Und die Welt treibt unbekümmert daran vorbei. Das muß ein Fest sein, ein Jubel, ein grenzenloser. Sie haben ein Bild dafür gefunden, Helena, so: zwei Feldherren, die zu einander kommen auf den Höhen. In einem leuchtenden Land. In Jerusalem vielleicht, in Ägypten oder am Ganges. Jeder mit einem Heer hinter sich und jedes Heer die halbe Welt «
Da hat Helena Pawlowna sich erhoben. Hoch. Stille. Zwei Menschen stehen einander gegenüber. Zwei Könige. Es ist eine Weile wie in Jerusalem oder wie am Ganges. Und auch die Flammen hinter den goldenen Gittern erheben sich und streuen Glanz weit aus.
Der Graf von Saint-Quentin hat seinen Platz am Kamin verlassen und ist im Begriff, sich leise zurückzuziehen. Der Herr aus Wien ist langsam aufgestanden, und auch der deutsche Maler hat auf einmal begriffen: man muß aufstehen in diesem Augenblick. Er ist maßlos erstaunt. Man sprach doch über Kunst eben noch merkwürdig. Und da setzt er sich auch schon wieder mit einer gewissen Erleichterung. Man muß reden, denkt er, um Gotteswillen rasch, man muß reden. Das Erste-Beste. Er strengt sich ungeheuer an. Ihm fällt nichts ein, als der arme kleine Ebenholz-Elefant, den er in der letzten Viertelstunde abgerichtet hat; aber es ist doch unmöglich, plötzlich von diesem Elefanten zu sprechen: Herr Gott
Da hört er den Grafen von Saint-Quentin, französisch: »Sie müssen verzeihen, Helena Pawlowna, wenn ich schuldig bin an diesem Aufbruch « und die feine Pendüle unterstützt ihren Landsmann. Sie schlägt irgendeine endlose Stunde, den ganzen Abschied entlang, so daß keiner etwas sagen muß.
Auch Kasimir nicht. Man kann sein Gesicht nicht sehen und nicht wissen, ob er bleich ist. Aber seine Augen müssen müde sein. Das hat man so im Gefühl. Und seine Hand zittert und ist schwer. Er verneigt sich tief vor der Prinzessin, tief. Dann geht er, wie einer, der nicht wiederkommen wird an einen lieben Ort. Zögert bei jedem Schritt. Sieht allen Dingen ins Gesicht mit so ernsten Augen. Aufmerksam. Damit er doch weiß, wie alles war.
Helena Pawlowna bleibt vor dem verloschenen Kamin. Sie horcht: nur die kleine, silberne Uhr, und die tickt atemlos, atemlos, als liefe sie hinter einer Sekunde her, die viel, viel schneller ist. Und da langt die Prinzessin zum Kamin hin nach einer kleinen, alten, goldenen Glocke, in deren Griff winzige Bilder getrieben sind.
Helena Pawlowna wird Licht befehlen, viel Licht.
Der Liebende
(1898/99)
Hermann Holzer geht in seiner langen, schmalen Stube auf und ab und spricht seit einer halben Stunde. Ernst Bang liegt ebensolange auf dem alten Studentensofa und betrachtet ihn. Manchmal hebt er ein wenig den Kopf, wie um über die Worte des anderen hinzusehen; denn diese interessieren ihn nicht sonderlich. Der breite, blonde junge Mensch, der immer auf demselben Fleck auf und nieder läuft, mit Schritten, als ob er eine Anhöhe bestiege, scheint ihm viel wichtiger offenbar. Er möchte ihm am liebsten zurufen: Bleib einmal stehen, bitte; damit ich dein Kinn genauer sehe und deinen Mund…
Natürlich ruft er es nicht, aber trotzdem bleibt Hermann Holzer stehen, versammelt sich vor dem engen Fenster und deckt mit seinem schwarzen Rücken den Himmel zu und die Schornsteine und den ganzen Sonntagnachmittag. Die Stube dunkelt hinter ihm. Und er sagt: »Hol der Teufel das ganze Examen. Ich bin schon wahrhaft nervös, glaub ich. Ich fange an, euch Konkurrenz zu machen, lieber Bang. Nehmt euch in acht, wenn ich mal nervös werde, dann tu ich’s gründlich, wie alles. Dann seid ihr Zwerge gegen mich.« Und er dreht sich so schnell um, daß er ein ganzes Stück Licht mit seinem Lachen hereinreißt in die rauchige Dachstube.
Bang setzt sich wie erschrocken auf. Er ist sehr schlank und modisch gekleidet.
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