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Die Erzaehlungen

Die Erzaehlungen

Titel: Die Erzaehlungen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rainer Maria Rilke
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Drama fertig, und man spielte es in seltsamen bunten Kostümen zwei Stunden später. Die Manuskripte loderten längst in den Kaminen: wozu sparen? Es gab ja täglich einen neuen Tanz und ein neues Spiel, sooft man dessen bedurfte. Etwas wie ein Hof entstand. Hier irgendwo schien das Reich der Herzogin zu sein, und Demin war der Mittelpunkt. In demselben Maße wie die Gäste, vermehrte sich auch die Dienerschaft des Hauses. Von allen Seiten drängten sich Leute herzu, und die meisten wurden aufgenommen. Es gab für alle zu leben. Mit einem Male war ein Haushofmeister da, der über hundert Diener und Dienerinnen befahl. Dieses war ein Mann mit einem kühnen hoffährtigen Gesicht, welches in seltsamem Widerspruch stand mit seinen demütigen kriechenden Händen.
    Der Graf Alma sagte einmal zur Herzogin: »Entlassen Sie diesen Haushofmeister.« »Weshalb?« staunte die Herzogin, »ich bin mit ihm zufrieden.« Der Graf zuckte die Achseln. Der Haushofmeister blieb. Er verstand es auch prächtig, alles zusammenzuhalten; bei jeder Tafel, bei jedem Feste war sein Einfluß bemerkbar. Und sogar die Künstler hörten gelegentlich auf seinen Rat. Eine Dame sagte einmal von ihm: »Er hat Geschmack.«
    Der Haushofmeister stand zufällig in der Nähe und verneigte sich stumm, mit so vornehmer Bescheidenheit, daß die Dame unwillkürlich lächeln mußte.
    Um diese Zeit wurden die Feste immer reicher und rauschender. Zumal, als unerwartet ein Gast aus königlichem Blut erschien, ein junger, glänzender Prinz, ein Bruder jenes Herzogs von Enghien, der später auf so grausame Art sterben sollte. Er war wie ein Goldstück, mitten ins Volk geworfen: Alles langte nach ihm; und er war geistreich genug, die Zuneigung der Gesellschaft als ein großes Recht über sie zu gebrauchen. Wie aus Marmorblöcken löste er die Gestalten in seiner Umgebung los, je nach dem Material: schöne und verschwenderische und solche, die sich nach Schönheit sehnen: rührende. Das war eine reiche Tätigkeit; denn er erfand die meisten kaum noch begonnen. Ein einziges Wesen begegnete ihm in Vollendung: Helene, die mit den großen traurigen Augen. Bei ihr ruhte er aus von seinem beständigen Schöpfersein. Er sprach dann wenig zu ihr und nur von seiner Heimat, von dem weiten Land an einem ernsten Meer. Und er liebte es, so zu reden, als ob er ein Fischersohn oder irgend eines namenlosen Mannes Kind wäre. Nie war ein Schloß oder ein Park Hintergrund diesen Gesprächen. Nichts Lautes kam darin vor und kein Name, der sie an einen Ort oder an eine Zeit hätte binden können. Immer, wenn er die Gesellschaft in Bewegung gebracht hatte, wenn sie alle von seinem Leben lebten, wenn die Wellen seines Blutes in tausend Gebärden sich groß und sichtbar wiederholten, zog sich der Prinz unmerklich zurück und fand das fremde stille Mädchen bereit zu solchen dämmernden Gesprächen.
    Einmal stand sie an der hohen Tür des Saales, welche auf die breite Terrasse führte. Er trat zu ihr und blickte neben ihr hinaus: Über vielen schwingenden Wipfeln war hohe, jagende Nacht. Und sie, die Schweigsame, sagte, da sie ihn neben sich fühlte, wie auf eine Frage hin: »Ich denke: diese Wolken, wie sich das formt und formt, willig jeder Gestalt und in jeder Gestalt flüchtig. Man sollte meinen, jede müßte erst ein Leben dauern in jeder Form. Wozu sonst die Form?« Und auf einmal schauten sich die beiden jungen Menschen an und dachten dasselbe. Dann blieben sie noch eine Weile neben einander und angesichts der Nacht. Aber unter dem Einfluß irgend eines Zwanges wandte sich der Prinz plötzlich um und fand, daß er unter den Blicken des Abbe war, gleichsam umnachtet von ihnen. Er mischte sich unter die Gruppen und sah sehr sorglos aus, strebte aber doch nach der nahen Fensternische hin, und indem er ein Lächeln versuchte: »Und Sie, Herr Abbe, was soll man tun?« Der Prinz zögerte; er verbarg nur schwer seine Verwirrung und fand erst langsam seinen gewohnten Ton: »Giebt es kein Fest, so groß, daß es auch Ihre Sinne erreichte? Die bleiben immer außerhalb von jeder Freude, so scheint es.«
    Der Abbé verbeugte sich leicht: » Sie irren, mein Prinz, meine Sinne sind mitten drin, eine Insel, wenn Sie wollen, eine schattige Insel in diesem Meer, über welches Sie Glanz streuen wie der Morgen selbst.«
    »An Ihrer Sprache, Herr Abbé, merk ich den Grund Ihrer Einsamkeit. Sie sind ein Dichter, irr ich, oder ein Denker.«
    »Nichts dergleichen, mein Prinz, wenn ich schon Etwas sein soll,

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