Die Erzaehlungen
mochten, lehnte sie an die seitlichen Kulissen. Dabei kam auch eine Art Harlekin mit großem, rundem Gesicht zum Vorschein, dessen sich die Kinder gar nicht erinnern konnten. Aber durch alle Pracht immer noch mehr gereizt, baten die Kinder um die »ganz große«. Nur einmal, die »ganz große«. Nur einen Augenblick: die »ganz große«.
Annuschka ging nach hinten zu ihrem Koffer. Es dunkelte schon. Die Kinder und die Puppen standen einander gegenüber, ganz still und ähnlich. Aber aus den weitaufgerissenen Augen des Harlekins, welche waren, als ob sie etwas Entsetzliches erwarteten, kam ganz unvermutet eine solche Angst über die Kinder, daß sie mit einem Male aufschreiend davonliefen, ohne Ausnahme.
Mit dem großen Blauen in den Händen kam Annuschka zurück. Aufeinmal zitterten ihre Hände. Die Küche war hinter den Kindern so still geworden und so leer. Annuschka hatte keine Angst. Sie lachte leise und stieß das Theater mit den Füßen um und trat die einzelnen dünnen Brettchen, welche doch den Garten bedeuteten, entzwei. Und dann, als die Küche schon ganz dunkel war, ging sie herum und spaltete allen Puppen die Köpfe, auch der großen blauen.
Reflexe
(1899)
Bald nach der französischen Revolution erschien plötzlich die Herzogin von Villerose in Böhmen. Man erzählte, der Herzog von Friedland habe ihr eines seiner Schlösser angeboten. Und wirklich fuhren bald darauf drei große Reisewagen in Demin ein. Mehr Gefolge hatte ja niemand in dieser zitternden Zeit. Aber es blieb trotzdem nicht einsam im Schlosse. Es ergab sich ganz unerwarteter Weise, daß eine Menge Adel in dieser Gegend lebte, Emigranten und andere. Besonders viele Polen fanden sich ein.
Die ersten Empfänge der Herzogin brachten allerdings einige Verlegenheit mit sich. Unter dem hohen strahlenden Portal, vor welchem Wagen um Wagen vorfuhr, fanden sich Männer, welche einander erstaunt und fragend anblickten, mit dunklen Erinnerungen in den Augen, und Frauen, die einander mit ironischem Lächeln begrüßten. Sehr laut und sehr schnell wurden dann die Namen genannt: die Gräfin Polonska, die Frau Fürstin von Liegnitz und viele glänzendere. Manche besannen sich erst im Vorsaal, während sie die Handschuhe zuknöpften, ihres Namens und Ranges. Aber die Herzogin von Villerose, in ihrer natürlichen Art, verstand allen diesen kleinen Verlegenheiten zu begegnen. Wen sie empfing, wer ihre feine, kühle Hand mit den Lippen nur eben beschatten durfte, der war, was er schien. Und die Herzogin merkte sich alle die vielen seltsamen Namen und gebrauchte sie mit soviel Laune und Leichtigkeit, wie Perlen, welche man in die Luft wirft: und alle Anwesenden lernten auffangen.
Außer der Herzogin selbst, einer blonden zarten Frau in jenem unsagbar feinen Alter, welches die Schönheit aller Altersstufen zu beherrschen scheint, fanden die Gäste auf Demin noch vor: die Fürstin von Sylva-Valtara, verwitwet, eine Schwester der Herzogin, obwohl sie dieser in gar nichts glich. Den Grafen Alma, einen Ungläubigen der Frauen, die ihn alle heimlich bewunderten, Kammerherr in Schwarz und, wie es hieß, Schüler Swedenborgs. Außerdem, immer in einer Fensternische, den Abbé Luc, schweigsam, beschattet, ein totes Lächeln über den schmalen Lippen. Auch ein junges Mädchen ging in der glänzenden Gesellschaft umher, lautlos und einsam wie im Wald: Helene, eine Tochter der Herzogin, immer in Weiß. Die Herzogin schien sie sehr zu lieben. Sobald die junge Fürstin im Saal erschien, ging die Hausherrin von allen Gesprächen fort auf das Mädchen zu und küßte es auf die Stirn. Alle waren entzückt von dieser Zärtlichkeit. Der dicke Graf Ballin sagte etwas zu laut: »Welch eine Frau!« Und eine hagere ältliche Dame, welche immer nur verlobt gewesen war, verbesserte ihn: »Eine Mutter, ach, was für eine Mutter, lieber Graf!« Aber angesichts dieser Szene kamen auch einem jungen Menschen seine ersten Verse. Er las sie noch an demselben Abend, beständig errötend, in einer Ecke des Saales vor und wurde auf einmal der Liebling vieler Damen. Aber es wurden auch wirkliche Dichter in Demin wach. Man sah manchmal in den tiefsten Alleen des Parkes stille Gestalten auf und niedergehen und, wenn man näher kam, hob sich eine einsame verklärte Stirne und zwei Augen von fremden Fernsichten erfüllt.
Zu den Festen in Demin fanden sich Leute ein, die in stilleren Nebenzimmern eine Melodie erfanden, welche noch in derselben Nacht getanzt wurde. Unversehens war ein kleines
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