Die Erzaehlungen
»Ich schlafe schlecht, deshalb sind meine Träume kurz und heftig.«
Am anderen Tag kamen die Pässe, und nun begann man rasch aufzubrechen. Der Graf drängte, und niemand widersprach ihm. Die Dienerschaft riß alles von den Wänden und aus den Schränken, und Koffer und Truhen füllten sich wie Regentonnen im Gewitter.
Alle Zimmer standen offen, und der Wind ging durch die leeren Türen. In den Sälen drängte sich neugierig das viele fremde Gesinde. Es war wie eine Plünderung. Man sah Knechte, die auf den Samtstühlen, welche sie hinuntertragen sollten, schliefen, und Mägde hielten schwere klare Spiegel, beugten ihr rotes sommersprossiges Gesicht darüber und trugen es, dumm lachend, im Spiegel, wie in einer Schüssel, hin und her.
Niemand von diesen Leuten maß seine Stimme, jeder lärmte und lachte wie in Trunkenheit. Am lautesten war ein Frauenzimmer von einer kecken schamlosen Schönheit. Man rief sie Aurora, und sie schien die Geliebte von allen Männern zu sein. Aber nur der Abbé Luc hatte erfahren, daß sie eigentlich das Weib Simeons, des früheren Haushofmeisters, sei, und daß dieser sie zu einer gewissen Mission unter dem Gesinde zurückgelassen habe. Aurora erzählte den Leuten nicht etwa, daß die Herzogin und die anderen im Schlosse ihre Titel zu Unrecht führten, im Gegenteil, sie suchte in allen das Bewußtsein zu wecken, wie lächerlich der Zufall der Geburt die einen vor den anderen auszeichne. Und die Männer alle die es ja wissen mußten glaubten gerne, daß nur die edlen Steine und die seidenen Kleider der Herzogin an Auroras Hals und Hüften fehlten, um diese ebenso fürstlich und stolz erscheinen zu lassen. Indessen erkannte der Abbé, der unablässig betrachtete, an der wachsenden Kühnheit Auroras, daß sich irgend etwas vorbereite. Es ging auch das Gerücht, Simeon sei neulich nachts im Schlosse aufgetaucht und vor Morgen wieder verschwunden.
Am Abend vor der Abreise saß Helene mit dem Prinzen in einem kleinen Salon, den man noch nicht zerstört hatte. Fernher hörte man dann und wann die Geräusche des Aufbruchs. Aber der Herbststurm in den alten Bäumen draußen war stärker, und es ging alles in ihm verloren. Ein kleines Feuer zuckte im offenen Kamin, konnte aber nicht recht froh werden. Die Schatten der Dämmerung schienen es von außen her zu ängstigen, und die beiden Menschen waren ein Teil dieser Schatten.
Der Prinz fragte: »Sie lieben Ihre Mutter?«
Pause.
»Ich liebe sie, weil sie nicht meine Mutter ist …«, sagte die junge Fürstin einfach; und es war etwas sehr Rührendes in diesem Vertrauen.
»Ihre Mutter ist tot?«
Helene senkte den Kopf.
Pause.
Plötzlich sagte der junge Mann: »Können Sie mir verzeihen, Helene?«
Helene nickte langsam, nachdenklich.
»Sie sagen ja? Wissen Sie denn, was Sie mir verzeihen sollen?«
»Nein. Aber ich antworte auf Ihre Frage. Ich kann Ihnen Alles verzeihen.«
Der junge Mann erhob sich sehr rasch und machte eine ungeduldige, heftige Bewegung mit der Hand nach dem Halse hin und indem er den Kopf zurückwarf: »… kein Prinz … ich … bin kein … kein … kein Edelmann, … ich bin … ich … ich bin arm, … sehr arm …« schloß er rasch, hart, unfähig seinen Namen zu nennen.
Die Fürstin schien nicht erstaunt oder erschrocken. Sie wandte sich wie zu einem Kinde: »Warum beunruhigen Sie sich? Setzen Sie sich. Sprechen Sie mir von Ihrer Heimat, die gehört Ihnen doch ; Ihnen gehört ja so viel .«
Da berührte er ihre Hand, die sie ihm eine Weile ließ, leicht mit den noch vom Geständnis zitternden Lippen und empfand, wie diese Berührung ihm einen neuen Adel verlieh.
Als die Herzogin bei den beiden jungen Menschen eintrat, geschahs mit den Worten: »Nun wird es Ernst. Morgen, mit dem ersten Licht, sind wir unterwegs. Wir müssen Abschied nehmen. Wohin gehen Sie, Prinz?«
Der Prinz erhob sich: »Ich habe die Fürstin Helene eben gebeten, mir zu gewähren, mit Ihnen zu reisen …«
»Und ich sehe, du hast es erlaubt «, lächelte die Herzogin und küßte ihrer Tochter die Stirne.
Später trat auch die Fürstin Sylva-Valtara ein. Sie fürchtete sich überall und lief aus einem Zimmer ins andere. Auch in dem kleinen Salon fand sie es unheimlich; man rief nach Licht. Aber man mußte warten.
Alle erschraken, als Graf Alma plötzlich unter ihnen stand, ganz in Waffen. Als jemand darüber lachte, sagte er heiser: »Ich bin schon zur Reise bereit.«
Endlich hörte man nebenan Schritte. Der Prinz ging auf die Türe
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