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Die Erzaehlungen

Die Erzaehlungen

Titel: Die Erzaehlungen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rainer Maria Rilke
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hier, wo jeder Etwas ist , dann nennen Sie mich einfach einen Zuschauer. Das ist nicht viel, meinen Sie? Nun, je nachdem. Der Zuschauer wächst, sozusagen, mit der Szene. Leute, die eine Schlacht gesehen haben, unterscheiden sich wesentlich von solchen, die vor eine Rauferei geraten.«
    »Und nach dieser Szene zu schließen …«
    »Ganz recht, mein Prinz, Sie sehen, ich habe mir selbst geschmeichelt. Ich wollte sagen: mit diesem Bild von Reichtum, Schönheit und Macht in Augen, bin ich ein ganz vorzüglicher Mensch, verzeihen Sie, ein ganz vorzüglicher Zuschauer geworden. Aber nun bitte ich Sie: denken Sie mal, was geschieht, wenn ein Zuschauer sich plötzlich in die Handlung mengt? Eine Verwirrung, nichtwahr? Das Spiel hört auf plötzlich. Unter der Schminke andere Gesichter, unter den Kleidern andere Kleider, unter den Stimmen andere Stimmen …« und nun sprach der Abbe weiter, mit ganz anderen, kurzen Worten, ohne Betonung, wie mit stählernen Stimmbändern: »Diese Herzogin, sehen Sie, ist noch die Beste unter uns. Sie ist die Tochter eines Barons. Allerdings, leider, keines französischen, eines lothringischen, aber immerhin: eines Barons. Das hat nicht jeder aufzuweisen! Ihre Mutter war war, verzeihen Sie, mein Gedächtnis verläßt mich vor dieser Menge von Möglichkeiten war ja eine Tänzerin.
    Sehen Sie, sie lächelt jetzt mit ihrem immer gleichen, entzückenden Lächeln; nur weil sie es nicht auf der Bühne gebraucht und nicht kurze Kleider trägt, sieht es so ganz anders aus, als ob es nicht ihrer Mutter Erbteil wäre! Aber trotz allem: sie hat Talent zur Herzogin. Sehen Sie daneben diese Sylva-Valtara. Eine Spanierin im Traum. Ich glaube, sie war Kammerjungfer, als sie noch fein und zierlich war; jetzt, da sie dick wird, hat sie es vorgezogen, Witwe eines nieverstorbenen Fürsten zu sein. Das sind unsere Damen. Wünschen Sie auch unsere Herren kennen zu lernen?«
    Der Prinz hatte die Hand auf dem Degengriff. Sie zitterte so, daß die Ringe daran klingend an den Knauf schlugen. Der Abbe veränderte nicht seine nachlässige Stellung. »Sie sehen, mein Prinz, ich habe eine eigentümliche Fröhlichkeit. Wollen Sie mir noch vorwerfen, daß ich an diesen Festen nicht teilnehme? Gerade sie haben mich so gestimmt zum Scherzen…«
    Der Prinz wandte sich kurz von dem Geistlichen ab. Fast gleichzeitig erhob sich am anderen Ende des Saales ein Tumult. Der Haushofmeister hatte, etwas trunken wahrscheinlich, den Grafen Ballin beim Arm gefaßt und ihm irgend eine Frechheit gesagt. Das hätte sich noch bemänteln lassen. Man war schon im Begriff, den Haushofmeister hinauszudrängen, als der Graf wütend sich über ihn warf, und so war unversehens im Saal, in Anwesenheit der Damen, eine richtige Rauferei entstanden. Der Haushofmeister wurde nüchtern und erwies sich als stark. Er warf den Grafen in eine Ecke, sprang zerfetzt und blutig, wie er war, mitten in den Saal und schrie mit riesiger Stimme:
    »Hunde seid ihr, Hunde! Sollens alle hören: Diese Herzogin ist keine Herzogin! Ihr alle seid Alle Alle…« Es entstand eine wahnsinnige Verwirrung. Einige Degen blitzten. Die Damen flüchteten mit zerrissenen Schleppen. Plötzlich trat in dem allgemeinen Geschrei eine Stille ein. Die Herzogin stand mit ihrer Tochter hart vor dem Haushofmeister. Über den ganzen Saal hin waren ihre sicheren, nur am Anfang zitternden Worte vernehmbar:
    »Simeon, wagst du vor diesem Kind, vor der Fürstin, zu wiederholen, was du eben gesagt hast?«
    Helenens Auge lag ruhig und traurig auf der verworrenen Stirn des Mannes. Alles schwieg. Dann hörte man Helenens Stimme, die leise die Herzogin beschwor: »Heißen Sie ihn fortgehn!« Und stumm und gehorsam verließ der Haushofmeister den Saal.
    Am nächsten Tage hatte er Demin verlassen.
    Auch die Herzogin sprach den Wunsch aus, nach Polen zu gehen auf ein anderes befreundetes Schloß. Alle stimmten ihr bei. Die Pässe, die man aus Wien verlangt hatte, blieben lange aus, und Graf Alma wurde unruhig. Solange er an der Tafel anwesend war, wagte sich kein heiteres Gespräch heraus, so schwarz war seine Gestalt, so ernst seine Stirne. Die Herzogin machte ihm deshalb Vorwürfe. Er antwortete:
    »Ich bitte Sie, lassen Sie heute aufbrechen, heute noch.« Die Herzogin lächelte: »Aber, Alma, wie sollen wir ohne Pässe reisen?«
    »Nur wenigstens von hier fort, an die Grenze.«
    »Und ich, soll ich auf dem Felde schlafen, Alma? Haben Sie wieder böse Ahnungen, Träume?«
    Der Graf sagte ausweichend:

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