Die Erzaehlungen
angesprochen. Erst spazierte er unbekümmert weiter, das Frauenzimmer immer neben ihm. Plötzlich blieb er stehn und machte auf irgend eine Nachricht hin: »Wieso?« Seine Begleiterin war schlank, bedeutend kleiner als er, und er mußte den Kopf etwas neigen, um ihr Gesicht, das in krausen blonden Haaren stak, genau zu sehen. Denn darum handelte es sich vor allem. Und gerade unter der Laterne nickte das Frauenzimmer, in seine Augen: »Ja, ja, ich bin die Kathi!«
»Welche Kathi?«
»Die, was bei Ihrer Frau Tante im Dienst war, damals als Sie hin auf Urlaub kamen, zur Tante …«
»Urlaub? « Der Herr lebte längst vollkommen unabhängig, und so hatte dieses Wort etwas Befremdliches für ihn. »Wann sollte denn das gewesen sein?«
»Oh das werden jetzt so an die zweiundzwanzig Jahre sein. Der Herr war ja damals ganz jung, in Liebenau, bei der Frau Tante Albot.«
Der Herr blieb stehen. »In Liebenau. …« Und es fällt ihm verschiedenes ein; die Tante Albot, eine taube, mürrische alte Frau mit einer schiefen Spitzenhaube, von der er später eine rosarote Hängeampel, einen Lehnstuhl, auf dem man wegen seiner Gebrechlichkeit nicht sitzen durfte, und den Rafael Morghenschen Stich des ›Abendmahls‹ geerbt hatte. Und bei Abendmahl fällt ihm Nachtmahl ein und bei Nachtmahl eine Küche, die gerade neben seiner Stube lag, sehr fern von den Zimmern der Tante, und er sagt auf einmal, seufzend:
»Jaja, Kathi!«
»No also endlich!« lacht es neben ihm. »Jetzt wissen Sie’s doch noch?«
Nach einer Pause sagt der Herr: »Ja, sehen Sie, das war so … in der Jugend. … Es geht Ihnen doch gut, Fräulein Kathi?«
»Ach ja, Fräulein!« macht sie spöttisch. »Deshalb komm ich ja grad, weils mir nicht gut geht …«
»Nicht gut?«
»Nein. Beinah achtzehn Jahr hab ich mich allein mit dem Kind durchgeschlagen, aber jetzt wo’s groß ist, brauchts halt garsoviel …«
»Ein Kind? Also verheiratet?«
Die Kathi antwortet nur beiläufig: »Ja, ich fahr heute wieder zurück, wir sind in Birkfelde. Zwei Stunden von hier mit der Bahn.«
»Und hier in der Stadt haben Sie Geschäfte gehabt?«
»Geschäfte!« lacht die Blonde ihn an. »Das ist wirklich gut. Geschäfte! Ein Geschäft mit dem Herrn hätt ich eben nur …«
Der Herr mittleren Alters läßt sich durchaus nicht überrumpeln. Er lächelt: »Liebe Kathi, wenn Sie wirklich zu mir gekommen sind, will ich Ihnen ganz gern mit einer Kleinigkeit nach meinen Kräften aushelfen …«
»Ja, es ist eben so ein Elend …«
»Jaja. Und es geht Ihnen schon lange so … so schlecht … sagten Sie? «
»Eigentlich seit Ihre Tante, Frau Albot, mich fortgejagt hat …«
»Fortgejagt, … wann war denn das, Fräulein Kathi, …«
»Gleich nachdem Sie damals wieder aus Liebenau abfuhren, sechs Wochen drauf. … wegen dem Kind. … Sie können sich schon denken von wem.«
Der Herr denkt ernsthaft nach. »Nein, sehen Sie, ich weiß mich nicht zu erinnern, wer damals könnte in diesem Liebenau … Es kam kein Mann ins Haus. … Die gute Tante. … erlaubte doch nicht einmal, daß der Kohlenmann oder der Milchausträger …«
»Wenn der Herr aber nur nachdenken möchte«
Der Herr versucht es wirklich.
»Na, wirds der Herr wohl selber g’wesen sein.«
Eine Weile sieht der so Angesprochene verständnislos vor sich hin. Dann aber lacht er ganz ungezwungen und arglos:
»Ja, ja, Kathi, vielleicht.«
»Aber ganz ernsthaft, weiß der Herr vielleicht nicht. …«
»Was denn …«
»Daß er bei mir in der Küche war? …«
»Jaja, … ich sagte schon, in der Jugend, da kommt es ja wohl vor.«
»Daß man einem armen Mädel ein Kind macht. Hn?«
Der Herr hört auf zu lachen und sagt ruhig: »Nein, nein, Kathi …«
»Also war der Herr vielleicht nicht? …« fährt die Blonde zornig auf.
»Doch, doch, leider Gottes, ja. Aber trotzdem. Es kann gar keine Folgen gehabt haben, nicht im geringsten. Das ist sozusagen ausgeschlossen. Ich will Ihnen sagen, Fräulein, der Doktor hat mir erklärt, daß es ganz unmöglich ist, daß ich jemals ein Kind …«
»Wann hat Ihnen der Doktor …«
Der Drachentöter
(1901)
Es war ein schönes und fruchtbares Land mit Wäldern, Feldern, Flüssen, Straßen und Städten. Ein König war darüber gesetzt von Gott, ein Greis, älter und stolzer als alle Könige, von denen man je Glaubwürdiges gehört hat. Dieses Königs einziges Kind war ein Mädchen von großer Jugend, Sehnsucht und Schönheit. Der König war verwandt mit allen Thronen der
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