Die Erzaehlungen
und packt mich an der Kehle…
Ich sitze auf der Veranda meines Hauses. Die blaue Luft streicht warm, feucht und golddurchwoben vom Meere. Duftige Sträucher schicken ihren Odem den Hang herauf. Ein Anblick voll Glück, Licht und Leben! Und ich schaue mit großen Augen in das volle, flimmernde Blau; und meine Gedanken … Meine Gedanken kehren jetzt immer häufiger zu einer Begebenheit zurück, die ich bisher in meiner Brust verborgen gehalten habe. Es ist wohl ein Jahr her. Du weißt, daß ich mich im Frühjahr in einem jener kleineren Bäder Böhmens, deren Besuch im Mai beginnt, aufgehalten habe. Ich war damals gesund, oder glaubte es doch zu sein. Dort ist mir in W. etwas begegnet, was jene Schwermut in meine Seele gesenkt hat, die Du an meinen Briefen rügst, und die Du gewiß meiner Krankheit zuzuschreiben geneigt bist. Es war… doch Du wirst ja sehen. Ich habe Dir in meinen besseren Stunden alles kurz aufgezeichnet. Ich will kein Geheimnis vor Dir haben. Nicht sterben, ohne… Es kann ja kein Mensch wissen, wann er stirbt! Heut oder morgen und wenn die Sonne noch so hell scheint, und die Luft noch so klar und blau ist… Das kommt… Unsinn!
Grüß mir die Deinen! Schreibe bald. Gott schirme Dich!
Dein Gaudolf
Ich war den dritten Tag in W. Wenige Leute nur waren erst da. Man konnte die weiten Nadelwälder durchschreiten, sicher, niemandem zu begegnen, als ein paar ehrerbietigen Bauersleuten. Wälder sind meine Freude. Früh nachdem ich einen kargen Imbiß genommen, stieg ich die wurzelgeäderten Pfade hinan, kreuz und quer, und verlor mich bald in der reichbelebten Wildnis. Ich erfreute mein Auge an den mächtigen Farren, unter denen wie unter einem Malachit-Baldachin züchtige Blumenprinzessinnen thronten, ich betrachtete das winzige Geschlecht, das da den grünen Moosboden bevölkerte und mit tätigem Eifer her und hin hastete, und mein lichtes Auge folgte dem neckischen Eichkätzchen, das im kühnen Sprunge Ast mit Ast verband, und sich, durch den Tritt des Wanderers aufgeschreckt, in dem höchsten Wipfel der ragenden Tanne verbarg. Nachmittags spät kehrte ich erst von meinen Wanderungen zurück, nachdem ich in einer Bauernhütte mit leidlich derbem Mahle mich gestärkt hatte.
Zweimal schon war mir auf diesen einsamen Wanderungen ein Mädchen begegnet. Ein seltsames Mädchen. Sie ging immer allein und sobald sie an mir vorüberkam, hob sie die grauen, übergroßen Augensterne empor und schaute mich mit stillen halbverschleierten Blicken an. Diese Augen kann nie vergessen, wer sie einmal gesehen. Es lag etwas Weltverlorenes, überirdisch Ernstes darinnen. So etwa wie Gabriel Max seine Büßerinnen und Heiligen malt. Die Lippen hielt sie fest geschlossen, das verlieh dem durchscheinend bleichen Gesicht einen Zug von Härte, von… Ich weiß nicht wie es kam; dieses Antlitz schwebte mir vor, wenn ich nachts in dem ungewohnten Gastzimmer erwachte. Bei der Tür, dort wo die Klinke im Scheine meines Nachtlichts schimmerte, hob sichs empor, und ich sah den Ernst dieses Gesichtes und die ganze schlanke Gestalt in dem anliegenden, schlichten Tuchkleid langsam auf mich zukommen. Mich schauderte…
Sie wohnte im selben Hause. Mit ihren Eltern, sagte der Wirt. Dann tat er ein recht verschmitztes Gesicht und schwieg plötzlich, als ob ihm ein Wort hinter den gelben Zähnen stände, das er nicht frei lassen wollte. Dann aber faßte er Vertrauen. Er neigte sich zu mir. »Nicht wahr, Sie sagens nicht weiter, Herr… Das Fräulein ist so ein bißchen, wissens, was man so sagt, nicht ganz bei Vernunft sie…« Sein Redestrom hätte jetzt nicht so bald ein Ende genommen, hätte nicht die Ankunft eines neuen Gastes ihn unterbrochen.
Ich sprach kein Wort und ging. Sollte es wahr sein? Die Augen …
Ich mußte dieses Wesen kennen lernen. Zu diesem Zwecke beschloß ich dem gemeinsamen Mittagessen der Gäste anzuwohnen. Ein wohlwollender Zufall begünstigte mich. Ich kam gerade neben den Vater des Mädchens, einen älteren Bureaukraten mit gutmütigen, weichen Zügen zu sitzen. Er selbst begann das Gespräch. Neben ihm saß das Mädchen, dann ihre Mutter. Sie konnten hören was wir sprachen. Über W. im Allgemeinen. Sie stammten aus einem kleinen Städtchen Südsachsens, wo der Vater die Stelle eines Magistratsrates, glaub ich, bekleidete. Der Tochter wegen seien sie hier; die solle die Kaltwasserkur gebrauchen. Die Mutter bestätigte das mit ein paar Worten. Dabei erfuhr ich ihren Namen Felice. Ich wandte mich an die
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