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Die Erziehung - Roman

Die Erziehung - Roman

Titel: Die Erziehung - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: btb Verlag: Verlagsgruppe Random House GmbH
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Gold, Keramik, Schnitzerei, was den Verschlägen, in denen er gehaust hatte, weit vorzuziehen war, und doch konnte er das unbestimmte Gefühl nicht unterdrücken, das ihm sagte, dass diese Dekoration veraltet war, zu aufdringlich. Aus diesem Gefühl entstand eine beharrliche Verachtung, auf die er seine Sicherheit gründete, die Überzeugung, es könne nicht schwierig sein, Leuten zu gefallen, die eine Vorliebe für ein solches Dekor hatten. Er würde im gegebenen Augenblick schon eine Entschuldigung finden, die zugleich sein langes Schweigen und sein Wiederauftauchen rechtfertigten.
    Doch sein Magen war noch immer wie zugeschnürt. Er fand es nicht ausgeschlossen, dass Etienne ihre Trennung hatte rechtfertigen müssen oder, noch schlimmer, sich just in diesem Moment im Salon der d’Annovres befand, seinen Betrug aufdeckte und die Comtesse davon überzeugte, ihn vor die Tür zu setzen. Er hatte nicht die Zeit, seine Gedanken weiterzuverfolgen, denn die Hausherrin erschien, ein höfliches Lächeln auf den Lippen. Er bemerkte einen Zweifel, eine Unschlüssigkeit in ihrem Blick. Sofort hatte er das Gefühl, demaskiert zu werden, war von dem Wunsch beseelt, sich zu entschuldigen und auf der Stelle davonzumachen, stattdessen trat er vor und küsste ihre Hand. Dies reichte, um die Befürchtungen der Comtesse zu zerstreuen. Sie blieb am Eingang des Raumes stehen, versperrte mit ihrem drapierten Kleid den Weg, faltete die Hände. In ihrer Haltung blieb eine Reserve, die Gaspard zeigte, dass sie ihn nur vage erkannte und ihn, ohne allzu erstaunt wirken zu wollen, aufforderte, ihrem Gedächtnis auf die Sprünge zu helfen. Er beeilte sich zu antworten, achtete so gut es ging auf eine gepflegte Sprache: »Ich war, Madame, in die Bretagne entsandt worden, wo mich eine wichtige Angelegenheit seit dem Herbst festgehalten hat. Aber ich habe unseren Abend in der Oper und das köstliche Diner, zu dem Sie mich am nächsten Tag eingeladen haben, nicht vergessen. Da ich erst heute Morgen nach Paris zurückgekehrt bin und nicht die Zeit hatte, die Höflichkeit zu erwidern, habe ich ein paar Blumen schicken lassen, und da ich ganz in der Nähe logiere, erlaubte ich mir, Ihnen meine Aufwartung zu machen.« Ein Leuchten erschien in ihren Augen, sie konnte sein Gesicht nun mit einem Namen und einem Umfeld verbinden. Im Geäst ihrer Beziehungen setzte sie Gaspard neben Etienne und gestattete sich ein Lächeln ohne jeden Vorbehalt: »Wie nett von Ihnen! Und wie dumm von mir! Ich muss gestehen, dass mich ein vager Zweifel überkam, aber nur einen Augenblick, dann raubten Sie mir das Vergnügen zu glauben, ich hätte die Blumen von einem geheimen Verehrer bekommen!« Sie lachte, entschuldigte sich mit einer Handbewegung für ihre Anzüglichkeit, als wollte sie sie ungesagt machen, und fügte hinzu: »Wir wollten gerade den Tee servieren lassen, und Sie sind mein einziger Gast. Ich fühlte mich gestern müde und habe angeordnet, heute nicht gestört zu werden. Nein, machen Sie sich keine Sorgen, es geht mir schon besser, und Ihr Kommen wird mich zerstreuen, seien Sie doch so nett und leisten Sie uns Gesellschaft.« Er folgte ihr durch den Flur, den er zuletzt mit Etienne entlanggegangen war. Im Halbdunkel des Spätnachmittags war er in Grau getaucht und schien enger als in seiner Erinnerung, wo er überzeugt war, dass er an unzähligen Zimmern und Salons vorbeigeführt hatte. Er warf im Vorbeigehen einen Blick auf die Tür zum Speisesaal, entsann sich, wie er durch den Spalt die Essensvorbereitungen gesehen hatte. Aber die Tür war enttäuschend, denn sie gab nicht mehr diesen Strahl warmer Helligkeit frei, diesen Lichtschein, von Düften überhäuft, der einen Blick auf die Tafel und die Speisen, die Geschäftigkeit der Hausangestellten ermöglichte. Wie der Raum, in dem man ihn hatte warten lassen, kamen ihm der Flur, die Tür und auch die Comtesse d’Annovres kleiner vor als in seiner Erinnerung. Ihre Gesichtszüge waren höchst banal, ihre Formen, die ihm großzügig erschienen waren, quollen nun wulstig unter ihrem Kleid hervor, und er bemerkte die Vertiefung, die der Kragen am Halsansatz ins Fleisch schnitt. Ich muss , sagte sich Gaspard, ganz anders sein als damals, als ich zum ersten Mal hierhergekommen bin, wenn ich für diese Leute nur noch Verachtung übrighabe. Die Comtesse und ihr Stadthaus kamen ihm lächerlich vor, und er machte sie auf eine Weise, die er sich nicht erklären konnte, verantwortlich für die Tatsache, dass er von

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