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Die Erziehung - Roman

Die Erziehung - Roman

Titel: Die Erziehung - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: btb Verlag: Verlagsgruppe Random House GmbH
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ihm wieder ein, erlangten einen Sinn. Er hatte das Gefühl, als wäre seine Stimme mit der des Comte de V. vertauscht worden. Der Comte d’Annovres stimmte mit einer schüchternen Kinnbewegung zu. »Aber sind die Täter etwa menschlich? Muss man nicht eine Bestie sein, um seinen eigenen Sohn umzubringen?«, erwiderte die Gattin. Gaspard zuckte mit den Schultern, spürte, dass er sich einen schlechten Dienst erweisen würde, wenn er die Konfrontation noch weitertriebe: »Ich kenne mich in dieser Frage zu wenig aus.« Im selben Augenblick fiel ein Lichtstrahl durchs Fenster. Am verhangenen Himmel hatten sich zwei Wolken getrennt und die Sonne durchscheinen lassen, die den Raum mit ihrer plötzlichen Wärme erfüllte, einer grellen Helligkeit, die sie zwang, die Augen zusammenzukneifen, und die Comtesse ihr ganzes Gespräch vergessen ließ. Sie sprang von ihrem Sofa auf und rief: »Eine Aufklarung, schnell, man bringe mir meinen Schal, lasst uns ein wenig den Garten genießen!« Die Hausangestellte tauchte mit einem Wollschal auf und drapierte ihn um die Schultern ihrer Herrin. Die Auflockerung war für Gaspard nicht mehr als ein Sonnenstrahl, doch die d’Annovres und, aus Diensteifer bestimmt, auch ihre Diener eilten aufgeregt ans Fenster. In seiner Überraschung glaubte Gaspard erst, dass er etwas Außerordentliches verpasst hätte, bevor er begriff, dass es einzig die Sonne war, die all diese Leute aus ihrer Benommenheit riss und wie eine Grüppchen Schaulustiger an die Scheiben lockte. Er gab sich begeistert, streifte die Jacke über, die man ihm gebracht hatte. Als alle ausgerüstet waren, um sich der Lauheit des Märzmonats zu stellen, wurden die Türen geöffnet. Die Luft trat herein, die Vorhänge schwebten wie Segel. Unter den Ausrufen der Comtesse, die Gesicht und Hals dem Himmel entgegenreckte, unter der Zärtlichkeit der Sonne jubelte, stiegen sie die Stufen zum Garten hinab.
    Vor Gaspard tat sich der Garten auf, die schnurgeraden Hecken, der Jasmin und das Heidekraut, die gewaltigen Glyzinien, die eine Laube umrankten, der Efeu auf der Fassade, die Ordnung der Rosenstöcke mit ihren zaghaften Knospen. Hinter den feinen Vorhängen war der Garten gelb erschienen, nun präsentierte er sich seinen Augen grau und trostlos. Von oben war er nichts als eine grünbraune Parzelle der Stadt. Für die d’Annovres musste er ein Quell des Entzückens sein, denn sie gerieten vor einem knospenden Kirschbaum in Rührung, vor dem Zweig eines Apfelbaumes, der einen strengen Schatten auf ihre Gesichter warf. Gaspard beobachtete sie von der Treppe aus. Eine Abneigung hinderte ihn daran, sich zu ihnen zu gesellen. Das Gefühl, das er bei seiner Ankunft verspürt hatte, verstärkte sich, während das Paar durch seine Anlagen schritt. Es gibt, dachte Gaspard, mit Sicherheit Adelige, die es weitergebracht haben. Etienne hatte kein Risiko auf sich genommen, als er ihn zu diesen Leuten gebracht hatte, die bestimmt reich waren, einen gewissen Bekanntheitsgrad besaßen, ihn aber kaum hätten kompromittieren können. Hatte die Comtesse nicht erstaunt gewirkt angesichts der Enthüllung, dass er am Hof kein Unbekannter war? Gaspard hatte nicht diese Mittelmäßigkeit im Sinn, stand diesem Haus in nichts nach, das so heuchlerisch war wie der Gastgeber, der seine Gemahlin am Arm durch die Allee führte. Gaspard wollte Erstklassigkeit. Er war überzeugt, seine Geduld würde sich bezahlt machen. Und Geduld hatte er die vergangenen Monate gelernt, zusammen mit der Menschenverachtung. Während sein Blick über die Hauswand schweifte, dachte er: Hier heißt es sich bedienen und plündern . Alles in allem war dieses erbärmliche Paar gut genug, um ihm sein Debüt in ihrer Welt zu ermöglichen; eine Gelegenheit, die er nicht verachten sollte. Gaspard lächelte, während sich am Himmel die dichten, düsteren Wolkenmassen wieder trafen, den Sonnenstrahl erstickten, die Comtesse zu dem Ausruf veranlassten, man werde sich erkälten und müsse schnell ans Kaminfeuer zurückkehren. Sie ging im Laufschritt, zog ihren Mann am Ärmel, sah Gaspards Lächeln, meinte, es sei an sie gerichtet, und sagte: »Sehen Sie nur, wie weit wir uns vorgewagt haben! Meine Finger sind eiskalt.« Gaspard hätte diese dicken Wangen am liebsten geohrfeigt, das rot angelaufene Gesicht zum Teufel geschickt. Sie war nicht mehr als ein Dutzend Meter gegangen. »Werde ich Gelegenheit haben, das Fräulein Tochter wiederzusehen?«, fragte er, bevor er die lauwarme, feuchte Hand

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