Die Erziehung - Roman
vor, sich noch ein wenig im Labyrinth der Gassen zu verirren: Was würde er denn schon tun, einmal am Ufer, außer sein Gesicht etwas zu erfrischen? Gaspard lehnte sich an eine Wand, die tief genug im Schatten lag, um etwas Kühle zuzulassen. Er ließ seinen Blick über die Fassaden wandern. Die Türen standen offen wie Mäuler, die Fenster schienen hohl. Er sah die Decken aus verwurmtem Holz, rußig, fettig, staubig, die im Zwielicht wie Chitin glänzten. Lange Seile spannten sich von einem Haus zum anderen. Von den alten Kleidungsstücken tropfte es monoton auf den Boden und die Köpfe der Passanten. Aus einem Fenster zog eine Frau ihre Wäsche zu sich heran. Zwei blinde Augen erglühten in ihrem rußigen Gesicht. Ihre krummen Krallen tasteten zitternd den Stoff ab, stopften ihn dann in das Loch, aus dem sie ihren Leib reckte. Die Farbe der Wände war unkenntlich geworden. Die Steine verschwanden bis auf Mannshöhe hinter breiten Ringen von Pisse. Weiter oben umlief ein vom Mauerwerk abgesondertes Geschwür jedes Fenster. Taubendreck beschmierte die Dächer, die Regenrinnen und Türen. Es roch nach Moder und uriniertem Stein, den nicht einmal der sengende Sommer bis ins Innere zu trocknen vermochte. Gaspard rieb sich die vom Schweiß geröteten Augen. Klaffende Türen gaben den Blick in die Elendsbuden frei, aus denen Plunder und Abfall, der nicht mehr benötigt wurde, auf die Straße geworfen wurde. Passanten wichen dem auf dem Boden herumliegenden Geschirr und den dreckverschmierten Kinderwindeln aus, und an einer Ecke wurde ein Säugling mit dem Fuß zur Seite geschoben, der in seinem eigenen Urin planschte. Man rief nach einer Frau, sie solle ihn holen kommen. »Er stinkt nach Pisse wie seine Mutter!«, krächzte ein unansehnlicher Greis.
Aus einem Hof trottete ein abgemagertes Schwein. Sein verdrecktes Hinterteil und sein geringelter Schwanz widerten Gaspard an. Er wandte sich ab, und sein Blick begegnete dem eines Mädchens, das ein paar Meter von ihm schlapp in einem Türbogen stand. Seine Haare bildeten dicke, von Läusen verseuchte Knäuel. In der Mitte seines runden Gesichts thronte eine von Akne zerfressene Nase, eine überreife Frucht, die zwei opalfarbene Augen voneinander trennte. Unter einem aufgeschnürten Mieder wölbten sich zwei kaum geformte Brüste mit angedeuteten Warzen. Sie streichelte eine von ihnen mit der Fingerspitze, ohne Gaspard aus den Augen zu lassen, dann beugte sie sich vor, um ihre Röcke zu heben. Zwei leicht behaarte, von Schlägen gezeichnete Beine in löchrigen Strümpfen kamen zum Vorschein. Etwas anderes trug sie nicht, und so entdeckte Gaspard eine unbehaarte Ritze. Halbherzig murmelte sie den Preis. Gaspard schüttelte den Kopf und ging weiter. Eine Kutsche jagte an ihm vorbei, er musste sich zur Seite werfen, um ihr auszuweichen. Mit klopfendem Herzen ging er weiter durch die Rue Pavée, bog nach links ab, an der Rue de la Bouteille vorbei, dann nach rechts über die Rue Trainée auf die Kirche Saint-Eustache zu.
Riesenhaft erhob sich das Monument in die vibrierende Luft. Die Wasserspeier an jedem Strebepfeiler waren von der Sonne wie erstarrt. Das Querschiff warf einen kraftlosen Schatten über das Tor hinaus auf die Rue des Prouvaires. Und an die Seitenwände der Kirche drängten sich wie Parasiten die Händler. An jeder Ecke standen ihre kümmerlichen Stände, machten sich gegenseitig den Platz streitig. Gaspard setzte sich auf die Stufen nieder, ohne die Fischhändlerin zu beachten, die auf ihn einredete. Er ließ seinen Blick über das Getümmel der Straße gleiten und kam zu dem Schluss, diese Gegend sei so viel wert wie jede andere. Er wollte ein wenig rasten und schlief zusammengesunken auf dem Stein ein. Nach und nach wurde das Stimmengewirr zu einem sonoren Brei, einem dissonanten Wiegenlied, und Gaspards Bewusstsein gab sich der Welt des Traums hin. Er spürte den Durst und den Hunger, der in seinem Bauch tobte. Dann, plötzlich, tauchten die Brüste des Mädchens vom Torbogen wieder vor seinem geistigen Auge auf, Brüste, die ihm inzwischen wie zwei Zysten vorkamen, und eine stumme Vulva, von Blutergüssen übersät, blutrot, ein Schwein, das sich durch die Straßen schob. Das leuchtende Rot füllte seinen Mund mit Bitterkeit. Ein Geschmack von Dreck unter der Zunge teerte seinen Gaumen, dann seine Haut. Alles rings um ihn, die unkenntlichen Gesichter, die Fassaden, beugten sich in Krämpfen, erbrachen einen Ruß, der die Straßen mit einem zähflüssigen
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