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Die Erziehung - Roman

Die Erziehung - Roman

Titel: Die Erziehung - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: btb Verlag: Verlagsgruppe Random House GmbH
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nichts von seinem dringenden Wunsch erkennen, aus Paris zu fliehen. Gaspard versuchte sich an den Preis zu erinnern, den der Kunde zahlte, schaffte es aber nicht, obwohl die Jungen ihn erwähnt hatten. Wie viel zahlt man für das Fleisch in einem Pariser Bordell ?, überlegte Gaspard, verwirrt zu sehen, dass sein Gedächtnis ihn gerade jetzt im Stich ließ, da diese Information, die ihm noch einen Augenblick zuvor gleichgültig war, auf einmal unerlässlich wurde. Wie viel wird dieser Mann, von dem ich überhaupt nichts weiß und der gleich hier auftauchen wird, für mein Fleisch bezahlen, für mich, der ich aus freiem Willen auf dem Bett sitze und so warte, dass er es ganz natürlich findet, mich hier vorzufinden, zu seiner Verfügung? , fragte sich Gaspard. Aber der Preis blieb ihm ein Rätsel. »Nicht viel wahrscheinlich«, gestand er sich mit lauter Stimme ein. Das Bild der Fleischer, die auf der Suche nach einem Mädchen durch das Pariser Zentrum zogen, schwebte voller Ironie über ihm.Er konnte nicht vergessen, was er bei den Schlachthöfen gesehen hatte, und er fröstelte, vor Angst diesmal. War es, durch den allergrößten Zufall, möglich, dass der Mann, der gleich das Zimmer betreten würde, Etienne war? Nein, dachte er, es war absurd zu denken, der Graf könnte gerade jetzt auftauchen, wo er dabei war, seine Ratschläge zu befolgen, und sich noch mehr erniedrigte als während ihrer Beziehung. Er zögerte, versuchte sich mit diesem Gedanken zu beruhigen, doch ein Zweifel blieb, flüsterte ihm ein, der Graf könnte entgegen jeder Logik die Zimmertür aufstoßen und ihn auf dem Bett vorfinden, in einer Stellung, die er sich als verführerisch vorstellte. Entsetzt sprang Gaspard auf und stellte sich kerzengerade neben das Bett, die Augen auf die Tür geheftet. Sein Herz schlug in seiner Brust wie ein Schmiedehammer, kalter Schweiß lief ihm über den Nacken. Er glaubte Schritte die Treppe heraufkommen zu hören, und seine Kehle schnürte sich zu. Ich müsste, überlegte Gaspard, sobald der Kunde das Zimmer betrat, ein Mittel finden, um diese Erregung zu verstecken, nichts als tiefe Gleichgültigkeit zu zeigen. Gaspard wollte dem Kunden gegenüber nicht durchscheinen lassen, welchen Abscheu allein der Gedanke an eine Berührung auslöste, denn jedes Gefühl, das er nicht verheimlichte, wäre ein untrüglicher Beweis, dass er sich vom Kunden beeindrucken ließe. Er errichtete eine letzte Schranke, zückte den letzten Rest seiner Eigenliebe. Bevor er jedoch Zeit hatte, diesen Schutzwall zu errichten, bewegte sich die Klinke, ohne dass er Schritte gehört hatte. Der Mann kam herein.
    Er schloss die Tür hinter sich. Da Gaspard sich nicht von der Stelle rührte, betrachtete der Mann den Strichjungen, den er mit seinen Ersparnissen bezahlen würde, und stimmte befriedigt zu. Gaspard nahm an, dass er Hufschmied war, denn auch ohne seine Lederschürze erfüllte er den Raum mit dem Geruch von verbranntem Horn, mit der Säure von gehämmertem Eisen. Bevor Gaspard Zeit hatte, sich an das hässliche bärtige Gesicht zu gewöhnen, kam der Mann schnurstracks auf ihn zu und drückte ihn an sich, umhüllte ihn mit diesem Geruch und warf ihn aufs Bett. Während er beharrlich seinen Körper an Gaspards rieb, Wörter grunzte, ihn in den Hals biss, ihm zwei dicke schwielige Finger in den Mund steckte, die auf seiner Zunge den Geschmack nach Feilspänen verbreiteten, fiel Gaspard ein, dass der Hufschmied seinen Namen nicht kannte. Vielleicht , überlegte er weiter, ist dieser Mann ein Stammkunde und meint, ich hätte wie alle anderen meinen Namen abgelegt und einen neuen angenommen, denkt, ich sei zu nichts anderem gut als zur Prostitution? Dieser Gedanke erschütterte ihn. Der Mann drückte den Unterleib gegen seinen, der auf einmal entkleidet war, ohne dass er etwas gemerkt hatte, so benommen war er. Er musste nur den Kopf ein wenig senken, damit sich seine Lippen auf der Höhe eines rosafarbenen Ohres befanden, aus dem ein Gewirr buschiger Haare ragte. »Ich heiße Gaspard«, stieß er unter dem Gewicht des Mannes hervor. Dieser gab ein gleichgültiges Knurren von sich, und Gaspard, überzeugt, nicht gehört oder verstanden worden zu sein, wiederholte noch einmal lauter: »Ich heiße Gaspard.«
    Wieder steckte der Mann die Finger in Gaspards Mund, und diesmal drückte er auf die Zunge, um ihn zum Schweigen zu bringen. Doch er ließ sich keinen Maulkorb verpassen, denn es war unerlässlich, dass der Mann ihn hörte und verstand,

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