Die Erziehung - Roman
was er zu sagen hatte, dass er seinen wirklichen und legitimen Namen kannte. Er warf den Kopf hin und her, schaffte es, die Finger loszuwerden. Der Mann hatte kurze Arme, und seine Bewegungen waren nicht sehr geschickt. Er suchte blindlings nach Gaspards Lippen, um erneut seine Finger hineinzuschieben, scheiterte aber an einem hartnäckigen Kinn. »Ich heiße Gaspard, ich heiße Gaspard, verstehen Sie?«, schrie er, und fühlte das wütende Bedürfnis wachsen, sich Gehör zu verschaffen. »Halt das Maul, halt dein verdammtes Maul«, knurrte der Kunde, doch Gaspard wiederholte es immer weiter, sodass der Mann nichts dagegen tun konnte und seine linkischen Bewegungen abbrachen. Er richtete sich auf, je einen Arm zu beiden Seiten des Jungen, seinen Blick auf das jugendliche Gesicht gerichtet. »Ich heiße Gaspard, und das ist mein richtiger Name«, sagte Gaspard erschöpft. Er sah die Verblüffung des Hufschmieds, als er seine Worte begründete, ahnte, dass der Mann, hätte er weiterhin nur seinen Namen hinuntergeleiert, ohne die Echtheit zu betonen, auf seine Beharrlichkeit gepfiffen hätte. Nun, da er sicher war, dass der Junge kein Pseudonym angenommen hatte, blieb er still. Und Gaspard, überzeugt, diesmal verstanden worden zu sein, schloss die Augen, bereit, die Anstürme des Kunden resigniert über sich ergehen zu lassen. Doch nichts geschah: Als Gaspard sie wieder aufschlug, befand sich der Mann immer noch in der Horizontale über ihm. »Dein Name ist mir scheißegal«, krächzte er verzweifelt. Gaspard sagte nichts, begriff aber, dass der Kunde zutiefst verunsichert war, sich mit dem Verkehr mit Jungen zufriedengab, die sich einen Namen gaben, von dem er wusste, dass er falsch war, die ihm aber wahrscheinlich Seelenfrieden boten: Denn hatten diese Jungen, wenn sie namenlos waren, noch Anrecht auf Menschlichkeit, war es nicht legitim, ihre Dienste in Anspruch zu nehmen, wenn sie selbst ihre Identität opferten? Da Gaspard nichts sagte, sprang er aus dem Bett, streifte, rot vor Wut, seine Sachen über, flüchtete durch die Tür und ließ Gaspard gedemütigt zurück.
Die Anekdote mit dem Hufschmied erreichte sämtliche Ohren im Bordell, verbreitete sich wie nur Gerüchte oder Flussbette ausufern können. Gaspard brachte sie allseitige Achtung ein, und man sprach seinen Namen feierlich und respektvoll aus, als hätte es sich dabei um eine Geheimformel, eine Beschwörung gehandelt. Er verlangte jedoch, dass man ihn nicht mehr bei seinem Namen nannte, dass man ihn bei gar keinem Namen mehr nannte. Der Gedanke, von seinen Kunden abgelehnt zu werden, die Miete nicht bezahlen zu können und von neuem in Paris herumirren zu müssen, erschreckte ihn weit mehr als sämtliche Hufschmiede des Landes. So gab er seinen Namen auf, der für einen Augenblick seinen letzten Funken Menschlichkeit hatte schützen können. Um sich keinerlei Schwäche mehr zu erlauben, hörte er gar nicht mehr hin, wenn er ihn beim Vorbeigehen jemanden murmeln hörte oder wenn die Jungen sich in der Einsamkeit des Flurs erkühnten, ihn laut auszusprechen. Wenn er sich schon ganz hergeben musste, um nicht haltlos, verhöhnt und vernichtet wieder an die Stadt ausgeliefert zu werden, so würde er den Erwartungen seiner Kunden entsprechen und nichts mehr unternehmen, was sie in die Flucht schlagen könnte, sich im Gegenteil Mühe geben, sie an sich zu ziehen und sich gefügig zu zeigen, ohne Seele und ohne Vergangenheit. Ohne Scham und ohne Geiz würde er sein frivoles und untertäniges Fleisch darbieten, an dem sich ein jeder, der wollte, zum vereinbarten Preis nach Belieben gütlich tun konnte. Und was bedeutete es schon, dass er sich dadurch in den Abgrund stürzte? Niemand, nicht einmal ein Kunde, der sich der Illusion hingab, ein wenig Liebe oder Zärtlichkeit zu finden in den seelenlosen Gesten, ertrug es, dass er als Individuum, als Mensch existierte. Es war nicht mehr die Stunde des Kampfes, wie Gaspard sich eingestand, sondern der Resignation. Dieser Entschluss, der ihm weise schien, war der Beginn seiner vollkommenen und endgültigen Metamorphose.
Die Enge des Zimmers und der Stumpfsinn der Tage ermutigten die Jungen in der Feuchte des Raumes, dessen Atmosphäre von ihren entehrten Körpern gesättigt war, nach den Formen zu tasten, die das Kerzenlicht als bleiche, schlummernde Berge unter den Laken zeichnete. Gaspard stieß sie nicht zurück, obwohl er keinen Trost darin fand, wenn sie sich unter den dicken Decken an ihn schmiegten. Ihre
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