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Die Erziehung - Roman

Die Erziehung - Roman

Titel: Die Erziehung - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: btb Verlag: Verlagsgruppe Random House GmbH
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Zwischen den fettigen Wänden fanden sie sich zusammen zur Inszenierung einer Familienmahlzeit. Der Wein stieg ihnen zu Kopf, mit dessen Hilfe sie vergeblich versuchten, die Kundenbesuche vergessen zu machen. Lacher stiegen auf, umschwirrten die zerzausten Schädel, die abgestumpften Brüste und Häute, die sauren Atemstöße. Manchmal sprachen sie von dem, was sie nicht waren, von dem, was sie hätten sein können und eines Tages sein würden, begeisterten sich an der Vorstellung, als Schauspieler, Magistrat oder Bijoutier zu arbeiten, beklatschten die Fülle der Einzelheiten, die greifbare Verwirklichung des Traums. Die übrige Zeit unterlegten sie die Mahlzeiten mit Anekdoten aus dem Viertel, hielten sich lachend Bäuche und Brüste, um das Zittern zu beruhigen. Bloß nicht zu reden aufhören, denn sobald die Stille in die Küche einfiel, konnte Gaspard das kurzlebige Gefühl des Erfülltseins geradezu fliehen sehen, der Traum verschwand, und es blieb nichts als das Fett von tausenden Ragouts an den Wänden übrig, dazu die monotonen Gesichter, deren Lachen in einem Seufzer der Entsagung versiegte. Gaspard liebte es, Emma reden zu hören. Er betrachtete sie in der rauchgesättigten Atmosphäre eines Feuers, und manchmal, wenn sich ihre Blicke trafen, sah er in ihrem Ausdruck, dass sie ihn als den erkannte, der er war: Gaspard, ein Mann, den sie auf der Straße getroffen hatte, der damals nichts von einem Kunden und nichts von einem Strichjungen hatte. Es war das erste Bild, das die Dirne von ihm hatte, und es war das, was blieb, während die anderen ihn von Anfang an als einen der ihren betrachtet hatten. Sie sagte noch immer, er würde sie eines Tages in der Comédie-Française tanzen, ja spielen sehen. Jetzt glaubte er es. Für einen Augenblick der Trunkenheit, in der Wärme des Kaminfeuers war alles möglich, gewiss beinah.
    Im Vergleich zu Emma schienen die anderen Jungen und Mädchen abweisend. Nicht dass sie die geringste Feindseligkeit gezeigt hätten, aber schon allein die Tatsache, dass sie neue Vornamen angenommen hatten und damit auslöschten, was sie in Wirklichkeit waren, machte sie unnahbar. Dies brachte Gaspard in große Verlegenheit. »Ich heiße Gaspard«, sagte er ihnen die ganze Zeit. Die anderen nahmen es mit Gleichgültigkeit zur Kenntnis. »Das ist mein richtiger Name«, fügte er hinzu, zwischen Kränkung und Hochmut hin- und hergerissen. »Oh«, antworteten manche, als sähen sie in dieser Präzisierung nicht ein Zeichen des Mutes, sondern einfach eine Eigenheit. Einzig Emma unterstützte ihn, wenn er an seine Identität erinnerte, und antwortete verärgert: »Irgendwann werden sie es kapieren.« – »Mein Name ist Gaspard«, sagte Gaspard in einem von fremden Ausflüssen gestärkten Laken. Aufgebracht brüllten die Jungen, die um die wenigen Stunden Schlaf kämpften, die das Treiben im Haus ihnen gönnte, er solle endlich den Mund halten.
    Im Dezember, am Tag nach der Begegnung mit Emma, empfing Gaspard den ersten Kunden. Einer der Jungen versprach, ihm einen zu schicken. Er müsse nur im Zimmer bleiben und warten. Gaspard strich Laken und Decke über der eingedrückten Matratze glatt. Von den Dächern tropfte der Schnee, den ein Wärmeeinbruch zum Schmelzen brachte, ein gräulicher Brei, aus einer Dachrinne lief er über das Fenster, durchtränkte das Holz, zeichnete Ringe auf den Gips. Das Licht wurde von einem Wandleuchter verstärkt, dessen Gestell hinter dicken Schichten von Wachs verschwand, mit dem auch die Mauer bespritzt war. Gaspard ging mit einem Schritt, der ihm unsicher schien, zum Fenster und öffnete es weit, um die kalte Luft hereinzulassen. Ein paar Tropfen des geschmolzenen Schnees fielen ihm aufs Gesicht. Er beobachtete in der Scheibe, wie sie ihm über den Hals liefen, und fröstelte. Hinter einem Gebäude im Hof war das Holz für den Winter gelagert. Das Haus war groß, und der Kunde fror nicht gerne. Er meinte, den Geruch der feuchten Scheite, vermischt mit dem beißenden Rauch aus den Pariser Schornsteinen zu spüren, was ihm Lust machte, sich auf die Straße zu stürzen, die Schranken der Kapitale hinter sich zu lassen und übers Land zu streifen. Doch er schloss das Fenster wieder, setzte sich auf den Bettrand, wie man sich ans Lager eines Kranken setzte, mit der Ungeschicklichkeit und der Verlegenheit, die dieser Einbruch in die Intimsphäre mit sich brachte. Der Kunde konnte jeden Augenblick da sein, und so würde er denken, er hätte ruhig auf ihn gewartet, und

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