Die Erziehung - Roman
sich setzte. »Willst du mit mir schlafen?«, fragte sie. Er antwortete nicht, und sie amüsierte sich über seine Verlegenheit. Das Licht machte ihren Teint warm und samten. Sie half ihm aus den Kleidern: »Das hat eine Wäsche nötig«, sagte sie, bevor sie sich auszog. Gaspard schaute ihr zu. »So hilf mir doch ein wenig.« Sie drehte ihm den Rücken zu, ihre Schulterblätter, zwei Berge mit spitzen Kreten, blähten das Alabasterfleisch und bildeten dort, wo der Verlauf der Wirbelsäule zu ahnen war, einen veilchenblauen Schatten. »Mach schon, das ist nur ein Knoten, beeil dich, mir ist kalt.« Es stimmte, ihre Haut kräuselte sich, aber es lag, dachte Gaspard, etwas Erschreckendes, Beängstigendes in der Vorstellung, sie zu entblößen. Er streckte zwei nicht sehr sichere Hände aus und half ihr, das Mieder zu lösen. Ihre Haut war noch weißer, als er erwartet hatte, ein Meer aus Milch mit angenehmem Geruch. Es war ein menschlicher Geruch, nach Schweiß und Schmutz. Sie entkleidete sich ohne jede Scham, und ihre Brüste schienen ihm ihre purpurnen Spitzen entgegenzustrecken. Unter ihrem leicht hervorstehenden Bauch zeichneten sich ein rotes Dreieck und die perlmutternen Lippen ihres Geschlechts ab. Sie schlüpften schweigend zwischen die Laken, und sie schmiegte sich an ihn. Diese so sehr erhoffte Wärme überschwemmte ihn augenblicklich ganz und gar, und er war sich sicher, dass die Dirne dieses Behagen mit ihm teilte. So blieben sie lange, ohne zu reden. Er betrachtete von der Seite ihre lässige Anmut. Ihre Haare fielen wild durcheinander als rote Kaskade über die bleiche Stirn. Der Kopf war zur Seite gewandt, spannte den Hals, der so fein war, dass Gaspard ihn mit einer Hand hätte brechen können. Die Arme des Mädchens ruhten entspannt auf ihrem Oberkörper. Die rechte Hand, die auf der Brust lag, war von einer verwirrenden Sinnlichkeit. Daumen und Zeigefinger, blau geworden durch die Unbeweglichkeit, hielten den Busen umfasst. Die linke Hand öffnete sich, eine Fleischknospe; zarte Linien liefen durch die Handfläche, und die Finger warfen einen Schatten darauf. Die Füße waren nackt, die Schuhe lagen mit verhedderten Senkeln auf dem Teppich. Gaspard betrachtete lange die Knöchel, das Fußgewölbe, dann den schmollenden Vorsprung der Zehen. »Ich heiße Emma«, sagte das Mädchen, »das ist mein richtiger Name.« Ihr Ton vibrierte von einem Stolz, den er nicht verstand, aber er nickte. Es war gut, an sie geschmiegt zu sein. Nichts durfte diesen Augenblick verderben. »Ich heiße Gaspard«, antwortete er. Als hätte dieses Geständnis ihre Annäherung noch mehr legitimiert, drückte sie sich enger an ihn. Es gab in dieser Umklammerung weder Lust noch Sinnlichkeit, einzig eine Verbindung, eine unerhoffte Alchimie. »Warum hast du mir erlaubt zu bleiben?«, fragte Gaspard schließlich, denn die Frage beschäftigte ihn. »Weil du mich genau so behandelt hast, wie es sein muss.« Zum ersten Mal seit Wochen fühlte er, wie ihn plötzlich ein wohliges Gefühl erfasste, als strömte es aus Emmas Körper, und die Obsession Etiennes verblasste, während sie beide die Laken mit ihrer Wärme durchdrangen. Er erinnerte sich, dass früher – wann war das gewesen? – manchmal einfache Dinge wie die Zärtlichkeit eines Sonnenstrahls, ein besonderes Licht oder ein Geruch in ihm ein ähnliches Gefühl hervorgerufen hatten, seinen Körper erschaudern ließen, sein Fleisch zum Leben erweckten. Dann hatte er den flüchtigen Eindruck, diesen Augenblick voll auszukosten, und durch ihn die Gewissheit, am Leben zu sein. Aber sobald er diese Emotion zu fassen, mit Händen zu greifen glaubte, flüchtete sie. Der Sonnenstrahl war nur eine kurze Aufhellung gewesen, das Licht zu schwach, der Geruch verflogen. Vielleicht, überlegte er, wird auch Emma in meinen Augen bald nur noch eine Hure sein, wie kurze Zeit zuvor, doch war sie im Augenblick so viel mehr, dass er die Großzügigkeit ihrer Umarmung pries. Bestimmt spürten sie beide denselben Durst, diese Gier, die weder der eine noch die andere zu sättigen imstande war. »Ich weiß nicht mehr wohin«, sagte er laut. Er dachte an seine ruhelose Existenz seit Etiennes Weggang. »Dann bleib doch hier, es ist zu kalt, und die Zimmer sind alle besetzt«, antwortete Emma. Natürlich sprach sie nur von einer Nacht, aber es schien ihm, als könnte er tatsächlich bei ihr bleiben. Er könnte sich, nachdem Etienne und Billod bereits seine Fähigkeit erkannt hatten, die Begierde in
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