»Die Essensfälscher«. Was uns die Lebensmittelkonzerne auf die Teller lügen
und 2007 um jährlich mehr als 23 Prozent steigern – die gewöhnlichen Lebensmittel legten dagegen nur um 6,2 Prozent zu. Kein Wunder also, dass Nestlé bis zum Jahr 2050 mit einem Anteil von 50 Prozent des Functional Food am weltweiten Lebensmittelmarkt rechnet. »Wir lieben Lebensmittel«, so wirbt der Handelsriese Edeka, und Nestlé hat sich das Motto gegeben »Good food, good life«. Das klingt nach echtem Essen. Nach Geschmack und Genießen. Nach einem Teller Selbstgekochtem. Nach Hunger haben und sich aufs Essen freuen. Doch was Nestlé und viele andere unter dem Label Functional Food produzieren und in die Supermarkt-Regale stellen, riecht nach Chemiecocktail. Nach Arzt und Apotheke.
Einer der wichtigsten Wegbereiter dieses Wahnsinns war Nestlé mit seiner Joghurt-Marke LC 1, die er Mitte der 90er Jahre auf den Markt brachte. Mit der Behauptung, die probiotischen Milchsäurebakterien wirkten sich positiv auf die Darmflora aus, entwickelte sich LC 1 für Nestlé zunächst zu einem wahren »Blockbuster«; der Begriff stammt bezeichnenderweise aus der Pharmaindustrie, die ihn für Medikamente mit Milliardenumsätzen verwendet. Doch schnell verlor Nestlé den Vorsprung auf den Konkurrenten Danone, der kurz darauf mit Actimel auf den Markt stieß, allerdings mit einer ganz anderen Werbestrategie: Die Franzosen versuchten den Verbrauchern erst gar nicht zu erklären, warum sie ihre »Darmflora im Gleichgewicht« halten sollten; Danone versprach ihnen einfach in aller Vollmundigkeit, dass Actimel »die Abwehrkräfte aktiviert«. In seltener Offenheit bekannte der Nestlé-Chef später einmal: »Das ist ein ärgerliches Kapitel. Wir hatten die geniale Idee, waren als Erste auf dem Markt und haben trotzdem verloren. Das haben wir verbockt.« So wird gesprochen, wenn es ums große Geschäft, um entgangene Umsätze, Profite und Marktanteile geht. Der Nestlé-Chef sagte ja nicht: »Ich bedaure das, weil wir gerne viel mehr Menschen mit unserem Produkt zu mehr Gesundheit verholfen hätten.«
Nun ist also Danones Actimel mit einem geschätzten weltweiten Umsatz von über einer Milliarde Euro pro Jahr einer der absoluten Spitzenreiter unter den Probiotischen Joghurts, doch sein riesiger Erfolg beruht allein auf cleverem Marketing und immensen Werbeausgaben, keineswegs auf dem Nachweis geringerer Grippe- oder Erkältungsfälle unter Actimel-Trinkern. Die wissenschaftliche Basis für das Produkt ist jedenfalls so dünn und fragwürdig wie eh und je. Zwar kann die probiotische Joghurtkultur in Actimel ganz allgemein die »Aktivität körpereigener Immunzellen steigern«, wie Danone gerne unterstreicht. Doch das tun auch andere milchsaure Produkte wie Naturjoghurt, Kefir oder Sauerkraut. Außerdem sagt die im Labor gemessene »Aktivität von Immunzellen« noch nichts über die winterliche Schnupfenfestigkeit aus, weshalb Actimel-Trinken eben keine wirksame Vorbeugung gegen Erkältungen ist. Die Universität Wien hat einmal untersucht, wie das Immunsystem auf Actimel und wie es auf Naturjoghurt reagiert. Das Ergebnis: Es gab kaum Unterschiede. Danone hat diese Studie sogar mitfinanziert, enthielt sie jedoch dem Kunden auf der Actimel-Homepage lange vor, obwohl dort sonst nicht mit Verweisen auf wissenschaftliche Belege gegeizt wird. Doch selbst auf der Website ist nachzulesen, wie dünn letztlich die Beweislage für die kleinen Fläschchen ist: »Im Rahmen einer ausgewogenen Ernährung und eines gesunden Lebensstils hilft Actimel bei täglichem Verzehr, die natürlichen Abwehrkräfte zu stärken.« Wenn Actimel also nur »hilft«, wenn man sich ohnehin gut ernährt, Sport treibt und nicht raucht, gibt es wirklich keinen Grund mehr, Actimel zu schlürfen. So gesehen ist die Geld-zurück-Garantie, die das Unternehmen bei ausbleibender Wirkung gelegentlich anbot, nur noch dreist: Wie sollte ein Actimel-Trinker nachweisen, dass seine Abwehrkräfte nicht wuchsen? Wäre der Inhalt der Plastikfläschchen tatsächlich in der Lage, das Immunsystem zu »renovieren« oder deutlich zu verändern, wäre der Trinkjoghurt ein Arzneimittel, das dem strengen Arzneimittelrecht unterliegt. Aus dem Supermarkt wäre Actimel dann verbannt.
Doch genau dort, wo die Massen einkaufen, muss ein Produkt stehen, um Umsatz zu generieren. Also machte Danone, was üblich ist in der Branche, wenn der Verkauf angeheizt werden soll, vor allem bei Kindern: Man kippte Zucker in das Lebensmittel, das doch eigentlich die Gesundheit befördern soll. Und zwar
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