»Die Essensfälscher«. Was uns die Lebensmittelkonzerne auf die Teller lügen
nicht zu knapp: Ein Zuckeranteil von zehn bis zwölf Prozent macht den Flüssigjoghurt zu einem echten Süßgetränk, das außerdem – wie andere, stinknormale Joghurts auch – in allen denkbaren Geschmacksvariationen und Darreichungsformen angeboten wird, von »Classic« bis »Orange«, vom Trink- bis zum Löffeljoghurt, von »Erdbeer-Banane« bis »Waldfrucht«. Damit Actimel dennoch als ein ganz anderer, mit zusätzlichen Abwehrkräften ausgestatteter Joghurt erscheint, für den die Menschen bereit sind, etwa viermal so viel zu zahlen wie für den Naturjoghurt einer Handelsmarke, unternimmt der Joghurtkonzern so einiges.
Ein Instrument, um wissenschaftliche Glaubwürdigkeit und Seriosität zu gewinnen, ist die Praxis, in Wartezimmern von Ärzten Actimel-Gutscheine auszulegen. Ein anderes Mittel, dem Produkt einen quasi-medizinischen Anstrich zu geben, sind die weltweit 17 Danone-Institute sowie deren zentrale Dachorganisation in Paris unweit des Danone-Forschungszentrums mit mehreren hundert Mitarbeitern. Diese Forschungseinrichtungen, die unter dem Namen »Institut Danone Ernährung für Gesundheit« firmieren, sind als gemeinnützige Vereine eingetragen, die Stipendien, Forschungsgelder und Forschungspreise vergeben. Die Institute seien »von den Interessen des Unternehmens Danone unabhängig«, versichert Danone. Doch daran sollte man besser zweifeln, schon deshalb, weil den Verantwortlichen offenbar bereits bei der Namensgebung die Unabhängigkeit abging, das Institut eben nicht platt mit dem Namen des Konzerns zu verknüpfen. Auch die »namhaften internationalen Experten« in den Vorständen und wissenschaftlichen Beiräten der Institute, darunter Kinderärzte, Epidemiologen und Ernährungsmediziner, sind längst keine Garanten für unabhängige Forschung im Interesse der Verbraucher.
Selbstverständlich sind diese Experten nicht alle automatisch Danones Mietmäuler, wie im Wissenschaftsbetrieb scheinbar unabhängige Nachplapperer genannt werden, auch wenn es den einen oder anderen geben dürfte, auf den diese Beschreibung zutrifft. Doch höchst problematisch ist schon die Tatsache, wie stark diese »unabhängigen Danone-Institute« die Probiotik-Forschung pushen und damit Joghurt-Bakterien zu einem breiten Forschungszweig gemacht haben. Das Thema hat in den einschlägigen Expertenkreisen inzwischen einen Stellenwert erreicht, dass man glauben könnte, Joghurt-Bakterien wären eines der drängendsten Ernährungsthemen auf dem Planeten. Aufschlussreich ist jedenfalls, dass nach einem kritischen Einwand gegen Danones Abwehrkräfte-These in irgendeinem Branchenblatt umgehend mehrere Experten zur Stelle sind, um in Leserbriefen und Gegen-Artikeln das Bild wieder geradezurücken.
Von der Fülle positiver Probiotik-Studien aus den Danone-Instituten sollte man sich deshalb nicht allzu sehr beeindrucken lassen. Zumal es längst Allgemeingut ist, dass industriefinanzierte Forschung nun mal die Tendenz hat, zu den von der Industrie gewünschten Resultaten zu führen; das ist in der Pharma- oder der Tabakforschung nicht anders als in der Lebensmittelforschung. Allein durch Actimel (»Abwehrkräfte«) und das Joghurt-Pendant Activia (»hilft die Verdauung natürlich zu regulieren«) hat Danone auf dem Markt des probiotischen Functional Food eine herausragende Stellung erreicht – und deshalb auch sehr viel zu verlieren. Und dagegen arbeitet Danone mit allen gängigen Marktbearbeitungsinstrumenten an, über die ein Weltkonzern heute verfügen kann – von der Vergabe von Forschungspreisen bis zu Fachkongressen, von gigantischen Werbeetats bis zur Einrichtung von Instituten, die mit Studien die eigenen Produkte propagieren.
Dennoch zeigen sich erste Risse. In Großbritannien stoppte die Werbeaufsicht ASA nach Beschwerden von Zuschauern schon die Ausstrahlung von TV -Werbespots für Actimel. Begründung: Die Behauptung, Actimel habe positive Auswirkungen auf die Gesundheit von Kindern, sei nicht erwiesen. In dem Spot hatte es geheißen, Actimel mache »schlechten« Bakterien »das Leben schwerer« und unterstütze »die natürlichen Abwehrkräfte« von Kindern. Danone hatte sich bei der Behörde mit dem Verweis auf 23 Studien an mehr als 6000 Menschen aller Altersgruppen verteidigt, für acht dieser Studien seien Kinder und Jugendliche bis 16 Jahre untersucht worden. Doch die ASA kritisierte, einige dieser Studien seien wegen ihrer Teilnehmer nicht auf britische Kinder im fernsehfähigen Alter übertragbar. So
Weitere Kostenlose Bücher